Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Stück von seinem Bauch entfernt, um ja nichts damit zu berühren. Sie pochten und brannten. Ehler kämpfte mit den Tränen.
»Nun Ihr, Ratsnotar!«, forderte der Scholastikus Johann auf.
Thymmo war nicht so tapfer wie sein Gegner. Er heulte bereits ungehemmt los, als er sah, dass Johann die Rute zur Hand nahm, was es seinem Vater nicht leichter machte.
Der Ratsnotar schluckte schwer. Noch nie hatte er Thymmo schlagen müssen, und auch jetzt empfand er es als überflüssig. Er hasste es, dass er dazu genötigt wurde. Doch er wusste: Es gab keinen anderen Weg. Ein beschädigtes Buch war kein kleiner Streich, und die Feindschaft zwischen den Jungen schien mit jedem Tag zu wachsen. Auch wenn die Maßnahme drastisch war, hegte er die geringe Hoffnung, dass die Schläge ihnen ihre dumme Zwietracht endlich austrieben. So sagte er mit kontrollierter Stimme: »Thymmo, streck die Hände vor!«
Der Junge saß zusammengekauert auf dem Boden – seine Hände unter seinem Gesäß vergraben. Er blickte nicht auf, weinte nur mit bebenden Schultern.
»Thymmo, tu was ich dir sage!«
Es war deutlich zu sehen, dass der Siebenjährige mit sich rang. Er war kein ungehorsames Kind, doch seine Angst hielt ihn gefangen, sodass er weiterhin auf dem Boden sitzen blieb.
Johann atmete aus und schloss kurz die Augen. Es zerriss ihm förmlich das Herz zu sehen, welcher Furcht sein Sohn ausgesetzt war. Doch wusste er auch ganz genau, dass er ihn jetzt besser zum Gehorchen brachte, ansonsten würde der Scholastikus sehr wahrscheinlich zu anderen Mitteln greifen.
»Steh jetzt auf«, donnerte Johann los. »Trage deine Strafe mit Würde, und benimm dich nicht wie ein Mädchen!«
Thymmos Weinen wurde noch verzweifelter, doch er stand tatsächlich auf und streckte seine zitternden Hände vor.
Johann unterdrückte seine Gefühle und schlug zu. Schon nach dem ersten Schlag schrie der Junge auf und zog seine Hände wieder zu sich. Immer wieder musste der Ratsnotar ihn auffordern, sie erneut nach vorne zu strecken. Es war eine Qual – für beide!
Dann war es getan.
Der Scholastikus nickte zufrieden und richtete noch einmal das Wort an die Jungen. »Ich hoffe, das war euch eine Lehre. Noch einmal solch ein Verhalten, und ihr werdet der Schule verwiesen, habt ihr verstanden?«
Beide Jungen nickten.
»Gut!«, schloss der Magister und wandte sich an Godeke. »Dominus, wenn ich Euch jetzt bitten dürfte, mich noch einen Augenblick mit dem Ratsnotar alleine zu lassen?«
Der Angesprochene nickte, verbeugte sich kurz und packte Ehler am Arm. Als er gerade hinausgehen wollte, hielten ihn die Worte des Magisters noch einmal zurück.
»Ach ja, Dominus! Eines habe ich noch vergessen. Da ich diese Streitigkeit als Teil des Schuljungenkrieges ansehe, werde ich den jüngsten Beschluss des Rates geltend machen, der Euch ja bekannt sein dürfte. Ehlers Schulgeld wird von sechs Schilling und acht Pfennig auf zwölf Schilling und sechs Pfennig erhöht. Ihr dürft nun gehen.«
Wortlos verließ Godeke die Kurie, den Griff um Ehlers Arm nun noch fester als zuvor. Er war wütend auf den Scholastikus, der das Schulgeld von hundert Pfennig soeben auf hundertfünfzig erhöht hatte, aber auch auf Ehler, der seiner Mutter immer mehr Kummer machte. Dabei hatte Godeke ihr doch versprochen, sich um Ehler zu kümmern. Aber wie sollte er das in Zukunft machen? Seit jenem Moment hinter dem Domgelände im Pulverschnee war alles anders. Jede Unbefangenheit zwischen ihnen war verschwunden. Gefühle, die es bislang nur im Verborgenen gegeben hatte, lagen plötzlich offen und machten alles kompliziert. Eine ganze Weile hatte er noch versucht, sich einzureden, dass sie einfach eine sehr schöne Frau war, und es vielen Männern bei ihrem Anblick so erging wie ihm, doch tief in sich wusste er, das war nichts als eine törichte Ausrede. Bald schon würde dieser Umstand Probleme aufwerfen.
Die Wahrheit war grausam, doch Godeke gestand sie sich ein: Er konnte auf Avas Trauer keine Rücksicht mehr nehmen. Sie brauchte einen Ehemann und die Jungen einen neuen Vater; einen anderen als ihn! Es wäre das Beste für alle, auch wenn er sich mittlerweile täglich nach ihr verzehrte. Wüsste er, dass Ava das Bett wieder mit einem Mann teilte, würde er es sicher schaffen, von ihr loszukommen. Und dann könnte er sich endlich wieder seiner eigenen Frau zuwenden, die er seit einigen Tagen wie Luft behandelte.
Während Godeke sich immer weiter von der Kurie entfernte, war die Stimmung im Haus
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