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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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letztes Mal drüber.« Als der Diener am Gesicht Johanns sehen konnte, dass ihn diese Aussage nicht wirklich beruhigte, fügte er noch hinzu: »Seid Euch gewiss, alles wird so gemacht, wie Ihr es uns aufgetragen habt.«
    »Gut, dann werde ich jetzt nur noch eben …«
    »Bitte verzeiht, wenn ich Euch ungefragt daran erinnere, aber Ihr müsst jetzt zur Kapitelversammlung. Es ist schon spät. Anna und ich werden Thymmo bringen. Und wir werden uns eilen.«
    »Herr im Himmel, du hast recht. Nun hätte ich doch fast die Wahl des Kinderbischofs verpasst.« Johann warf sich seinen Mantel über und richtete sein Wort noch ein letztes Mal an Thymmo. »Wiederhole noch mal, mein Junge. Was habe ich dir erklärt?«
    Thymmo holte tief Luft und sagte: »In der Zeit des Kinderbischofsspiels muss ich dem Kinderabt und dem Kinderbischof meinen Respekt entgegenbringen – genauso wie einem richtigen Abt und einem richtigen Bischof. Außerdem soll ich mein Festtagsgewand nicht beschmutzen und immer laut und deutlich singen, denn Gott im Himmel wird uns zuhören.«
    »Sehr gut! Wenn du das alles beachtest, wirst du mich sehr stolz machen. Und deine Eltern auch. Vergiss nicht, dass auch sie zusehen werden – genau wie Gott.«
    Thymmo nickte.
    Dann machte sich Johann auf den Weg zum Dom. Zu spät zwar, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Er ärgerte sich ein wenig über sich selbst, denn in letzter Zeit war er häufiger zu spät gekommen, was eigentlich nicht seinem Wesen entsprach. Der Grund war immer der gleiche: Thymmo!
    Manches Mal glaubte Johann, dass Gott ihm eine Prüfung stellte, durch die er beweisen sollte, wen von beiden er mehr liebte: den Herrn oder sein eigenes Kind. Gleich der Geschichte im ersten Buch Mose, Kapitel zweiundzwanzig, wo Abraham seinen Sohn Isaak Gott zum Opfer geben sollte. Johann hoffte inständig, dass er sich hinsichtlich dieser Prüfung irrte, denn oft genug glaubte er, sie nicht bestehen zu können.
    Als er in den Kapitelsaal trat, hatte die Versammlung tatsächlich schon angefangen. »Bitte verzeiht, meine Herren. Ich bin untröstlich …«, murmelte Johann, der mit seinem Eintreten den Dompropst unterbrochen hatte. Schnell setzte er sich an seinen Platz. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Stück Pergament.
    Der Schauenburger sah großzügig über die Verspätung hinweg und fuhr kommentarlos fort. »Wo war ich … Ach ja! Nachdem vor acht Tagen der Marianer Ribo zum Kinderabt erwählt wurde, bitte ich euch jetzt, den Kinderbischof zu wählen. Bitte schreibt den Namen des Schülers Eurer Wahl auf und faltet das Blatt. Dann reicht ihr es zu mir herüber. Und vergesst nicht: Kinderbischof kann jeder werden, ganz gleich ob Marianer oder Nikolait!«
    Diesen Satz musste der Propst dazusagen, obwohl es, seitdem die Nikolaiten zum Marianum wechseln mussten, noch nicht vorgekommen war, dass ein Nikolait gewählt worden war.
    Johann nahm die Schreibfeder zur Hand und starrte auf sein Pergament. Auf dem Weg zum Dom war ihm aufgefallen, dass er sich noch gar nicht für einen der Jungen entschieden hatte. Nur kurz blitzte der Gedanke in ihm auf, seinen eigenen Sohn zu wählen, doch das war töricht! Thymmo war noch so jung und außerdem erst seit Kurzem ein Mitglied des cantus minor . Er hatte sich noch nicht genug bewährt, um diese Ehre zu erhalten. Drum wählte er einen anderen Jungen, der ihm geeignet erschien – jedoch nicht ohne zu hoffen, dass eines Tages sein Sohn Kinderbischof werden würde.
    Als alle Domherren ihre Wahl getroffen hatten, bat der Propst den Dekan zu sich.
    »Gottschalk, wärst du so gut, mir bei der Auszählung zur Hand zu gehen?«
    Der Dekan nickte und machte sich gleich daran, das erste Papier zu entfalten. »Thymmo!«, sprach er laut und deutlich aus.
    Johann riss erstaunt seine Augen auf.
    Dann kam der nächste Name.
    »Thymmo!«
    Der Ratsnotar ließ sich sein Erstaunen nicht anmerken. Doch das hielt er nicht lange durch.
    »Thymmo!«
    »Thymmo!«
    »Thymmo!«
    Nun konnte Johann ein ungläubiges aber fröhliches Schmunzeln nicht länger unterdrücken. Wie konnte das möglich sein?
    »Lubertinus«, erklang plötzlich der Name des Jungen, den Johann gewählt hatte.
    Nach drei weiteren Namen anderer Jungen vernahm man bloß noch einen – Thymmo! Und wenige Augenblicke danach stand es fest.
    »Nun, ich denke, wir können uns einen Vergleich zwischen den Jungen sparen. So eindeutig war das Ergebnis noch nie. Der diesjährige Kinderbischof heißt Thymmo«, sagte der Propst. »Ich gebe

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