Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
tot.
8
Godeke war vor dem allgegenwärtigen fröhlichen Treiben des morgigen Kinderbischofsspiels regelrecht in sein Kontor geflüchtet. Er hatte das Gefühl, nur hier seine konfusen Gedanken ordnen zu können, die ihn mittlerweile Tag und Nacht verfolgten. Wo sonst gab es auch gerade einen Ort der Abgeschiedenheit, wenn nicht in seinem Arbeitszimmer, zu dem nur der Zutritt hatte, dem Godeke diesen ausdrücklich gewährte?
Avas Haus war zurzeit ständiger Treffpunkt von Walther, Runa, Margarete und einigen Freunden, außerdem konnten jeden Moment auch noch seine Eltern hinzukommen.
Sein eigenes Heim jedoch schien das von Ava derzeit an Enge noch zu übertreffen, und das, obwohl er hier mit Oda alleine lebte – so eisig war die Stimmung zwischen ihnen!
Seit sein Weib ihn mit Ava in der Küche erwischt hatte, war kein einziges Wort mehr zwischen den Eheleuten gefallen. Godeke war noch in derselben Nacht freiwillig mit seinem Laken auf den Sessel in seiner Stube gezogen, wo er bis heute schlief. Doch er wusste, dass das keine Lösung auf Dauer war – sie würden irgendwann reden müssen! Aber wie, und wann? Es kamen ihm einfach nicht die richtigen Worte dafür in den Sinn.
Godeke lernte eine ganz neue Seite an Oda kennen. Normalerweise ließ sie ihn wissen, wenn ihr etwas missfiel. Und bisher hatte er sich darauf verlassen können, dass sie dies stets im Hause und nie in der Öffentlichkeit tat, doch dieses Mal war alles anders. Sie war so voller Wut, dass er sich ihrer Zurückhaltung nicht mehr sicher sein konnte. Odas Schweigen verunsicherte ihn so sehr, dass er sich mittlerweile fast wünschte, sie würden endlich streiten, damit diese quälende Situation irgendwann mal ein Ende fand. Doch das passierte nicht. Er fragte sich, was sie von ihm verlangte. Sollte er auf sie zukommen, sich erklären, sich entschuldigen? Doch was genau sollte er sagen? Natürlich konnte er für sein Verhalten um Verzeihung bitten, doch bereute er tatsächlich, was geschehen war? Wünschte er sich wirklich, dass es nie passiert wäre? Nein! Ein einziger Gedanke an Avas weiche Haut brachte sein Blut erneut in Wallung. Er bereute es nicht. Im Gegenteil – er wünschte sie sogar zurück in seinen Arm!
Müde rieb er sich die geschlossenen Augen. Sein Kopf schmerzte.
»Godeke!«
Er schreckte auf. Im Rahmen der Tür zu seinem Kontor stand Oda.
»Was tust du hier? Warum bist du nicht bei den Vorbereitungen für das Fest?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«
Schweigen kam einen Moment über die Eheleute.
Oda schritt näher. »Soll das ewig so weitergehen? Hast du mir etwa so gar nichts zu sagen? Bin ich es dir nicht einmal wert, dass du dich mir erklärst?«
Godeke atmete tief durch. Der Moment der Wahrheit war also gekommen. Nun war es an ihm, die richtigen Worte zu finden. »Doch, natürlich. Aber was willst du schon von mir hören?«
»Liebst du sie?«
Diese Frage war so direkt, dass er ruckartig den Blick von ihr abwandte. Ein kurz ausgestoßenes Lachen entwich seinem Mund. »Oda, was soll diese Frage …«
»Ich bitte dich«, sagte sie verächtlich. »Ist diese Frage wirklich so abwegig? Ich will wissen, ob du sie liebst!«, wiederholte sie in einem schärferen Ton.
»Ja«, gestand er schließlich und sah seine Gemahlin dabei an. »Ich liebe Ava. Und ich weiß, dass es eine Sünde ist.«
»Seit wann hegst du diese Gefühle?«
»Schon eine ganze Zeit.«
»Habt ihr euch auch schon vorher versündigt?«
»Nein. Das eine Mal in der Küche, das du … also letztens … das war das erste Mal.« Nun sah Godeke auf. Er erkannte, dass seine Frau trotz ihrer kühlen und beherrschten Fragen weinte, und er fühlte sich elend. »Dich trifft keine Schuld, Oda!«
Nun war es um ihre Beherrschung geschehen. »Was redest du denn da? Meinst du wirklich, ich bin so töricht? Ich weiß genau, warum du dich in ihre Arme flüchtest! Ich kann dir keine Kinder schenken, und darum achtest du mich nicht als dein Weib!«
»Das ist nicht wahr! Ich habe dich immer geachtet. Das mit Ava ist einfach passiert. Es hat mit unserer Kinderlosigkeit nichts zu tun.«
Nun schlug Oda die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.
Godeke konnte nicht sagen, ob es wegen Ava war oder deshalb, weil er ihre größte Pein mit Namen benannt hatte. Aber das war jetzt egal. Ihr Anblick rührte sein Herz, sodass er aufstand und auf sie zuging. Er wollte sie in den Arm nehmen und trösten, doch als sie sein Näherkommen bemerkte, wich sie zurück.
Wütend
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