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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Augen und sank auf ihre Knie.
    Albert lag am Fuße der Burg, unweit der Brücke. Sein Gesicht war zu einer weißen, schmerzverzerrten Fratze geworden, dessen Unterkiefer eine unnatürliche Stellung aufwies. Um ihn herum war eine Pfütze voller Blut – sein Blut!
    Ragnhild nahm nichts mehr um sich wahr. Sie sah weder den toten Erich auf der Brücke, dem bloß ein Rinnsal Blut zwischen den Lippen herausgeflossen war, noch die anderen toten Männer Eccards oder die blaugeschlagene, nackte Magd, deren Schenkel eindeutige Spuren einer Schändung aufwiesen.
    Jons und Alusch hoben die kreischende Ragnhild auf. Sie wollten sie so schnell wie möglich von hier fortbringen, doch sie riss sich los und stolperte zu Albert, auf dessen Brust sie sich warf. Immer wieder krallte sie ihre Hände in seine Kleidung, presste sich an ihn, nahm sein Gesicht in ihre Hände und bedeckte es mit Küssen. Schließlich legte sie ihre Arme um Albert und weinte bitterlich, Wange an Wange. So verharrte sie noch mindestens eine Stunde und nahm schluchzend und weinend Abschied von dem einzigen Mann, den sie jemals geliebt hatte.
    Jeder ging mit seinem Schrecken alleine um. Wo Ragnhild lautstark ihren Kummer hinausschrie, waren Jons und Alusch ganz still. Sie alle drei verharrten eine Zeit lang vor der Burg – im Kreise der Toten – die noch gestern ihr geliebtes Zuhause gewesen war. Selbst den alten, treuen Hund des Müllers hatten die grausamen Ritter erschlagen. Nichts und niemand war ihren Schwertern entkommen.
    Irgendwann sagte Jons zu Alusch: »Der Boden ist zu hart, wir können sie nicht begraben.«
    Alusch nickte. Ihre Augen waren rotgeweint, doch sie behielt die Fassung. »Wir müssen von hier fort …!«
    »Ja, und zwar gleich. Wer weiß, ob sie wiederkommen und nach uns suchen. Außerdem brauchen wir einen Platz, an dem wir bleiben können. Noch eine Nacht im Freien werden wir sicher nicht überstehen. Und wir können nicht auf Eccard warten. Gott allein weiß, wohin er geritten ist und wann er zurückkommt.«
    Wieder nickte Alusch nur. Sie war Jons’ Blick zum Turm gefolgt. Stumm gab sie dem Pagen recht, dass sie die Nacht unmöglich hier verbringen konnten.
    »Ich habe da vorne ein paar Hufspuren entdeckt, vielleicht gelingt es mir, eines der Pferde einzufangen.« Mit diesen Worten ging Jons auf die Suche.
    Alusch blieb bei Ragnhild. Sie hatte ihr die Arme um die bebenden Schultern gelegt und weinte mit ihr zusammen.
    Nach einer ganzen Weile kam Jons zurück. Es erschien wie ein Wunder, dass er tatsächlich fünf Pferde hatte finden können, doch der Junge hatte einfach gewusst, wo er nach ihnen schauen musste. Zu vertraut war ihm das Verhalten seiner Gefährten und zu groß die Angst der Fluchttiere selbst, um sich zu weit von ihrem gewohnten Stall zu entfernen, der ihnen stets Futter und Sicherheit geboten hatte; auch wenn es den jetzt nicht mehr gab. Der Page ritt auf seiner Alyss, hinter ihm trotteten die übrigen vier Pferde, die sich des Nachts zu einer kleinen Herde zusammengefunden hatten. Es waren die Schimmelstute mit ihrem Fohlen, der tragende Zelter von Margareta und die Braune, die ihr Fohlen die Nacht zuvor verloren hatte. Sie alle waren sichtlich erschöpft. Einige wiesen kleine Brandverletzungen auf, und der Zelter lahmte. Doch sie schienen regelrecht dankbar über Jons’ Kommen zu sein, denn keines der Pferde trug irgendwelches Zaumzeug, das sie an den Jungen zwang. Sie kamen freiwillig mit ihm.
    Unter anderen Umständen wäre Alusch wohl mehr als erstaunt gewesen, dass es Jons tatsächlich geschafft hatte, Pferde aufzutreiben, doch ihre Empfindungen waren wie tot. Sie war weder in der Lage, sich zu wundern, noch sich zu freuen. Alle ihre Sinne würde sie nun brauchen, denn dies war der Moment, in dem sie Ragnhild dazu bringen musste, Albert hier zurückzulassen. Ohne Grab, ohne letzte Ölung und ohne die tröstenden Worte eines Priesters sollte diese Frau ihren geliebten Mann nun der Kälte und der Düsternis übergeben. »Ragnhild. Komm jetzt.« Begann sie vorsichtig.
    Die Witwe reagierte nicht.
    »Meine Liebste. Sag nun Lebewohl.«
    »Ich bleibe hier. Geht ohne mich.«
    »Das werden wir sicher nicht tun. Nie und nimmer lasse ich dich alleine hier. Du wirst jetzt auf eines der Pferde steigen. Komm, ich helfe dir auf.« Alusch griff nach Ragnhilds Arm. Ihr selbst erschien diese Geste grob und herzlos. Aber es ging eben nicht anders.
    »Nein, Alusch. Lass mich. Mein Platz ist hier bei Albert.«
    »Aber dann wählst

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