Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
zeigte sie ihm die Handflächen, welche vor Zorn bebten. »Wage es nicht, mich mit deinen sündigen Fingern anzufassen, Godeke von Holdenstede. So viel Wasser gibt es in allen Fleeten Hamburgs nicht, um dich von dieser Schmach reinzuwaschen!«
Godeke hielt inne. Er blickte ihr ins zornige Gesicht und fragte: »Was schlägst du vor? Wie soll es jetzt weitergehen? Ich weiß es nämlich nicht.«
Oda wischte sich die Tränen von den Wangen, stellte sich aufrecht hin und bemühte sich sichtlich um einen gefassten Ausdruck. »Nun, du kannst dich glücklich schätzen, mein Gemahl. Ich habe mir bereits Gedanken darüber gemacht, also höre mir gut zu.«
Godekes Atem wurde flacher. Etwas in Odas Stimme ließ ihn vermuten, dass das, was nun kam, nicht angenehm werden würde.
»Du wirst ab heute wieder das Ehebett mit mir teilen, auch wenn du mich nicht berühren darfst. Wir werden uns nicht anmerken lassen, was geschehen ist, denn du wirst es wiedergutmachen.«
»Was soll das heißen, Oda? Ich kann das Geschehene nicht ungeschehen machen, und das weißt du.«
»Richtig, vor dem Herrn im Himmel wirst du dich eines Tages für deine Sünde verantworten müssen, doch meinen Namen wirst du achten. Wir sind vor Gott verheiratet, und auch wenn ich es nicht vermag, dir Kinder zu schenken, werde ich nicht zulassen, dass du mich verstößt. Du wirst Ava neu verheiraten – und zwar so schnell wie möglich. Tust du es nicht, werde ich überall erzählen, dass sie sich dir an den Hals geworfen hat wie eine Hure, obwohl ihr Gemahl noch nicht einmal ein Jahr lang tot ist. Danach wird sie sich nirgendwo mehr blicken lassen können, ohne dass man über sie herzieht. Und einen passenden Gemahl wird sie dann schon gar nicht mehr finden. Also nutze lieber die letzte Möglichkeit, die ich ihr in meiner gottesfürchtigen Nächstenliebe biete, selbst wenn sie diese nicht verdient!«
Godeke war sprachlos. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen – das, was Oda verlangte, traf ihn mitten ins Herz. Sie hatte ihn in der Hand. Um nichts in der Welt wollte er Avas tadellosen Leumund beschmutzt wissen, schon gar nicht durch seine Schuld! Es würde ihm also nichts anderes übrig bleiben, als zu tun, was Oda verlangte. Doch obwohl er sie verstehen konnte, wollte er noch versuchen, vielleicht etwas Zeit für Ava zu gewinnen. »Gut, ich werde tun, was du sagst. Aber die Suche nach einem Gemahl kann dauern. Du wirst dich also noch etwas …«
»Unsinn!«, fuhr sie ihm barsch dazwischen. »Ich weiß genau, dass du schon mit Christian Godonis gesprochen hast. Er war hier, als du im Badehaus warst. Eigentlich wollte er zu dir, doch als er dich nicht angetroffen hat, hat er mir alles erzählt.«
Godeke zweifelte keinen Moment lang an Odas Worten. Christian war so verschwiegen wie ein Waschweib, und in diesem Moment hätte er ihn dafür erschlagen können! Doch das ließ sich jetzt nicht mehr ändern, drum fragte er Oda nur: »Wenn ich es tue, versprichst du dann niemals ein Wort darüber zu verlieren, was du in der Küche gesehen hast?«
»Ja.«
»Gut, dann will ich einverstanden sein.«
Oda nickte und sagte: »Wir sollten uns jetzt in der Stadt blicken lassen. So, wie es sich für ordentliche Christenmenschen gehört, die sich auf ein christliches Fest freuen!«
Es war der sechste Dezember – St. Nikolaustag, und gleichzeitig ein großer Tag für alle Eltern der Marianer und Nikolaiten, denn heute begann das Kinderbischofsspiel, das bis zum achtundzwanzigsten Dezember währen sollte.
Johann Schinkel war noch niemals zuvor beim Beginn des Festes so aufgeregt gewesen. Auch wenn das Fest für ihn als Geistlichen schon immer von Wichtigkeit gewesen war, stellte sich die Situation in diesem Jahr anders dar als sonst. Weder fühlte er sich heute als Mitglied des Domkapitels, noch scherte ihn sein hochrangiges Amt als Ratsnotar, welches er seit zweiundzwanzig Jahren innehatte. Heute war Johann nur eines: der Vater von Thymmo!
»Anna«, rief er fahrig nach seiner Magd. »Ist Thymmos Gewand schon fertig? Wo sind seine Schuhe?«
Doch statt Anna kam ihr Gemahl Werner herein. Beim Anblick seines Herrn musste der Diener sich ein Schmunzeln verkneifen. Es war einfach so offensichtlich, dass der Ratsnotar um einiges aufgeregter war als der kleine Junge. Dabei würde doch Thymmo heute singen müssen und nicht er selbst.
»Werner, wo ist Anna? Ich kann Thymmos Sachen nicht finden.«
»Herr, Anna ist gleich fertig mit Thymmos Gewand. Sie bürstet nur noch ein
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