Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
zu, dass ich etwas erstaunt bin, da der Junge noch nicht lange in unserer Schule ist, aber er scheint sich bewährt zu haben. Kein Wunder, bei solch einem Lehrmeister.« Der Propst schaute zu Johann Schinkel und nickte ihm wohlwollend zu.
Dieser strahlte übers ganze Gesicht, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte. Der Stolz war seiner Miene deutlich abzulesen.
Der Domherr Eggehard Schak klopfte Johann auf die Schulter. »Meinen Glückwunsch, Johann. Ihr könnt stolz auf Euer Mündel sein.«
»Auch meinen Glückwunsch«, sprach Hartig Balke aus.
»Habt Dank, meine Herren«, fand Johann endlich seine Sprache wieder. »Ich freue mich außerordentlich über das Ergebnis und bin selbst nicht minder erstaunt als unser ehrenwerter Propst. Aber nun entschuldigt mich bitte. Ich glaube, ich muss unserem kleinen Bischof jetzt noch ein paar Anweisungen erteilen, damit er seinem Amt auch Ehre macht.« Damit erhob sich Johann und löste die Versammlung auf.
Alle Domherren verließen nacheinander den Kapitelsaal und verschwanden in den Gängen und Winkeln des Mariendoms. Jeder hatte noch die eine oder andere Aufgabe zu tun, bevor das Fest begann.
Johann schritt in das geschmückte Langhaus, wo er sich noch einmal Richtung Osten wandte und kurz die Augen schloss. Mit einem ehrfürchtigen Ausdruck auf dem Gesicht schlug er ein Kreuz. Gerade eben noch hatte er gebangt, von Gott geprüft zu werden, und jetzt? Gott hatte Thymmo, und somit auch ihn, so überaus beschenkt, dass ihn fast ein Gefühl der Schuld überkam. »Habt Dank, Herr!«, sprach er noch. Dann drehte er sich um und hastete auf das Portal zu. Er wollte schnell zu seiner Kurie, um vielleicht noch dort einzutreffen, bevor Werner und Anna sich mit Thymmo auf den Weg machten. Es gab so Einiges, was er seinem Sohn sagen wollte, damit dieser keine Fehler machte – schließlich war es etwas ganz anderes, ein bloßer Chorjunge zu sein oder das wichtigste Amt des Festes zu bekleiden.
Johann rauschte regelrecht an den Altären und den mächtigen Säulen vorbei und würdigte sie keines Blickes, als eine Gestalt sich ihm plötzlich in den Weg stellte. Erschrocken blieb der Ratsnotar stehen und sah genau in das Gesicht Johannes’ von Hamme. »Großer Gott, was schleicht Ihr so geräuschlos hier herum? Mich hätte fast der Schlag getroffen.«
Von Hamme ging gar nicht weiter darauf ein. »Ich sagte Euch ja, dass mein Dank stets mehr beinhaltet als bloße Worte. Hoffentlich seid Ihr zufrieden, Ratsnotar!« Dann drehte der Scholastikus sich auch schon wieder um und schritt mit wehenden Röcken davon.
Johann brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann plötzlich fühlte er sich, als hätte man ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Die Erinnerung an die Situation in der Kurie des Scholastikus’ presste ihm die Luft aus dem Körper. Er war es gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Thymmo heute zum Kinderbischof wurde! Sein Sohn hatte die Wahl nicht ehrlich gewonnen.
Johann musste seine Gefühle ordnen. Wie gelähmt stand er im Langhaus. Er hätte es wissen müssen, schalt er sich. Die Anspielung des Scholastikus’ damals war deutlich genug gewesen, doch Johann hatte nicht verstehen wollen – das allein war die Wahrheit! Er hatte sein reines Gewissen gegeben, um seinem Sohn einen Vorteil zu verschaffen. Zwischen ihnen war ein Handel geschehen, auch wenn Johann das nur äußerst ungern zugab.
Plötzlich meinte er den anklagenden Blick der hölzernen Marienstatue in seinem Rücken zu spüren. Sie schien ihm zuzurufen, dass er keinen Deut besser war als von Hamme, denn eine Lüge durchgehen zu lassen, war doch nicht weniger schlimm, als selbst zu lügen!
Johann spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Eben noch hatte er sich so sehr für seinen Jungen gefreut, doch jetzt fühlte sich seine Freude falsch an. Was sollte er tun? Die Lüge aufdecken?
Langsam und innerlich zerrissen setzte er sich in Bewegung und verließ den Dom, doch je näher er seiner Kurie kam, desto mehr überwog das eine seiner beiden Gefühle. Er wusste, was er unternehmen würde: nichts! Zu groß war der Wunsch, seinen Jungen als Kinderbischof zu sehen und zu deutlich die Verdammtheit seiner Seele, durch das Zeugen eines Kindes in Sünde. Mit einiger Verbitterung über seinen schmählichen Entschluss, gestand er es sich selber ein: Ja, seit Thymmo in meinem Leben ist, bin ich käuflich. Genauso käuflich wie jede Hure!
Die Nacht war bitterkalt gewesen, und sie erschien Jons, Alusch
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