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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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und großer Erschöpfung, ihre dreckbeschmutzte und zerrissene Kleidung machte sofort klar, dass ihnen ein ähnliches Unglück zugestoßen war, wie den Hamburgern. Zusammengesunken hielten sie sich gerade noch auf den blanken Rücken der nicht minder erschöpften Pferde. Vorweg ritt ein Junge. Er führte einen lahmenden Zelter an einem schmalen Gürtel, den das Tier um den Hals trug. Dahinter kamen zwei Frauen. Sie hatten ihre Hände in die Mähnen gekrallt und drohten jeden Moment hinunterzufallen. Den Schluss bildete ein dünnes Fohlen, welches kaum mehr laufen konnte.
    Die Hamburger waren so sehr mit dem Aufräumen ihrer zu Schaden gekommenen Stadt beschäftigt, dass sie die Reiter erst auf dem Berg bemerkten.
    »Großer Gott, seht nur«, rief eine der Frauen erschrocken aus und stieß alle um sich herum an, um sie auf die drei abgerissenen Gestalten aufmerksam zu machen.
    Nach einer kurzen Weile verbreitete sich die Nachricht immer weiter und kroch wie ein unheilbringendes Gewitter über den Platz. Niemand konnte so recht glauben, was sie da vernahmen. Sie alle mussten es mit eigenen Augen sehen und traten neugierig näher. Schnell hatte sich ein Kreis um die beiden Frauen und den Jungen gebildet.
    Walther richtete sich auf, als er die Ansammlung der Menschen am anderen Ende des Platzes entdeckte. Neugierig verengte er die Augen und schirmte sie mit der flachen Hand ab. Er trat einen Schritt zurück, entfernte sich etwas von der Stelle, an der er gestanden hatte, um besser durch die dicht gedrängten Körper blicken zu können, nur um dann wieder näher zu Godeke zu gehen und verwundert zu fragen: »Was ist denn dort drüben los?«
    Jetzt erst schauten auch die anderen um sie herum, was die Aufmerksamkeit der Bürger so sehr anzog. Nach und nach verstummten alle Gespräche.
    Godeke konnte hinterher nicht mehr sagen, wieso er losgerannt war. Es hatte ihn überkommen wie ein kalter Schauer. Ohne abzuwarten setzte er sich in Bewegung, so schnell es ihm möglich war, drängte sich durch die Menge, verschaffte sich mit Ellenbogen und barschen Rufen Platz, bis er den dichten Rand der Umstehenden durchbrach. Erst jetzt sah er die Gesichter der Ankömmlinge.
    »Mutter!«, stieß er erschrocken aus und rannte zu Ragnhild, die noch immer gekrümmt auf der Stute saß. Er griff nach ihr, um sie am Fallen zu hindern und drehte sich dabei zur Menge, von der er wütend forderte: »Steht nicht nur so da und glotzt. Helft mir!«
    Darauf kamen weitere Männer herangeeilt und hoben die geschwächten Frauen von den Pferden.
    Jetzt brach auch Walther durch die Menge. »Gütiger Gott, nein!« Sofort stürmte er zu Alusch und Jons, während sich Godeke um Ragnhild kümmerte.
    »Wasser!«, forderte Walther in einem herrischen Ton. »Bringt sofort Wasser!«
    Gleich mehrere Frauen liefen los.
    Godeke bemerkte, dass seine Mutter sich nicht auf den Beinen halten konnte, und führte sie zum Brunnen auf dem Berg. Hier breitete er seinen Mantel aus und half ihr, sich zu setzen. Nachdem sie sich an die Steine gelehnt hatte, kamen auch Johann Schinkel und Willekin Aios herbei und rissen sich augenblicklich ihre Mäntel vom Leib, um die Frauen damit zuzudecken.
    »Mutter, was … was ist passiert? Wo ist Vater?«, fragte Godeke unheilwitternd. »Bitte sag doch etwas. Bist du verletzt?«
    Ragnhild versuchte zu antworten, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Ihre Kehle war so trocken und ihr Herz so schwer; den Blick hatte sie starr auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet. Dann aber, nachdem man ihr etwas zu Trinken gegeben hatte, begann sie langsam zu sprechen. Tonlos und heiser, aber ohne zu stocken.
    »Ritter haben uns angegriffen. Sie zündeten den Stall an und überfielen die Burg. Die Männer kämpften. Wir drei konnten in den Wald flüchten …«
    Godeke schloss die Augen. Leise fragte er sie noch einmal: »Wo ist Vater?«
    Ragnhild ging nicht darauf ein. Ihr Blick hing noch immer an jener nicht auszumachenden Stelle. »Eine Nacht waren wir im Wald, dann gingen wir zurück. Sie haben alles verbrannt und alle getötet.« Jetzt erst ging ihr Blick zu ihrem Sohn. Sie hob ihre Hand und legte sie an seine Wange. Tränen traten ihr in die Augen. »Alle, außer uns.«
    Godeke atmete flach. Er sah, wie eine Träne sich aus dem linken Auge seiner Mutter löste und über deren Wange rollte. Eiskalt fühlte sich die mütterliche Hand auf seinem Gesicht an. Ragnhild wirkte in diesem Moment so zerbrechlich auf ihn, dass er Angst hatte, sie zu sehr zu

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