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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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drängen. Noch mehr Angst hatte er allerdings vor dem, was er längst schon wusste, und nur nicht hatte hören wollen.
    »Dein Vater ist tot, mein Sohn. Er hat sein Leben für unseres gegeben und ist nun im Himmel.« In diesem Moment war Godeke wieder Kind. Mit Bedacht hatte die Mutter deshalb angemessene Worte gewählt, doch konnten auch diese den Schmerz nicht abhalten.
    Godeke schrie nicht. Er weinte und klagte nicht. Er saß einfach nur da und starrte auf das Gesicht seiner Mutter.
    Walther schloss die Augen. Genau wie Godeke nahm er eine Weile lang nicht wahr, was um sie herum geschah. Nur die Kälte, die sein Herz umschloss, fühlte er. Sein Freund, den er seit einundzwanzig Jahren gekannt hatte, mit dem er durch Friesland gereist war und Handel betrieben hatte, dessen Tochter er geheiratet hatte und dessen Enkel er nun großzog, war tot!
    Das Entsetzen der Hamburger war fast greifbar. Keiner konnte so recht glauben, dass das Grauen noch immer kein Ende hatte. Irgendwann wurde die alles überschattende Frage laut, die jedem auf der Zunge lag, und deren Antwort eigentlich jeder kannte.
    Willekin Aios sank dennoch langsam auf eines seiner Knie und schaute der Witwe in die Augen. »Domina Ragnhild, habt Ihr die Ritter erkannt? Wisst Ihr, wer diese grausamen Taten zu verantworten hat?«
    Ragnhild blickte dem Bürgermeister, den sie nun schon so lange kannte, ins Gesicht und nickte. »Es waren die Ritter des Grafen Gerhard II.«
    Diese Antwort überraschte niemanden.
    Der Bürgermeister stand wieder auf. Schnell hatten sich die Mitglieder des Rates, Graf Johann II. und Johann Schinkel um ihn versammelt. »Meine Herren, wir müssen uns dringend beraten. In einer Stunde treffen wir uns im Rathaus.« Bevor er ging, richtete er das Wort noch an Godeke, der sichtlich um Fassung rang. Die Hand auf die Schulter des jungen Mannes gelegt, sagte er: »Dominus, dies ist ein schwerer Tag für Euch und die Euren. Umso wichtiger erscheint es mir, dass Ihr gleich dabei seid, wenn es um die nächsten Schritte gehen wird! Bedenkt, Ihr seid nun das Oberhaupt Eurer Familie.«
    Godeke nickte. »Ich werde kommen, doch zunächst muss ich meine Mutter von hier fortbringen.«
    Auf der Grimm-Insel angekommen, wollte Godeke nur eines: wenigstens einen Moment lang mit Ragnhild allein sein! So gingen sie hinauf in seine und Odas Schlafkammer und weinten dort gemeinsam um ihren geliebten Vater und Gemahl.
    Walther hatte Verständnis für diesen Wunsch und kümmerte sich unterdessen um Jons und Alusch.
    Als Godeke wenig später das Haus verließ, war er wieder einigermaßen gefasst – zumindest genug, um im Rathaus darüber zu sprechen, was nun zu tun war. Schmerzlich wurde ihm bewusst, was die Worte des Bürgermeisters, die er auf dem Berg zu ihm gesagt hatte, bedeuteten: Er war jetzt das Oberhaupt der von Holdenstedes und hatte zu entscheiden, was mit seiner Mutter geschah.
    Aus dem Gehege ertönte bereits die tiefe Stimme von Willekin Aios, der von seinem Platz am Kopf des Tisches zu den Männern an den Längsseiten und zu Graf Johann II. sowie dem Ratsnotar ihm gegenüber sprach.
    Wortlos gesellte sich Godeke hinzu und nahm seinen Platz neben Christian Godonis ein. Heute war kein Anzeichen von Spott, Müdigkeit oder Lustlosigkeit in dessen Gesicht auszumachen. Im Gegenteil, fast schon kampfeslustig nickte er seinem Freund zu.
    »… mit diesem Schlag hat die Fehde ein anderes Maß angenommen. Es gibt keinen Zweifel, dass die Ritter, die die Stadt trotz des eigentlich vorherrschenden Gottesfriedens angegriffen haben, Gefolgsleute des Grafen Gerhard II. gewesen sind.« Willekin Aios machte eine kurze Pause. Er war sichtlich mitgenommen von den Ereignissen. Leiser sprach er nun weiter: »Diese Fehde geht aber nicht mehr nur das Grafenhaus etwas an. Schließlich sind es die Bürger dieser Stadt, denen Leid zugefügt wurde, und schließlich ist beim Überfall auf die Riepenburg ein ehemaliges Mitglied des Rat es zu Tode gekommen! Somit nehme ich mir das Recht heraus, den Schauenburger Gerhard II. nun auch zum Feind Hamburgs zu erklären!« Aios knallte seine geballte Faust auf den Tisch. Darauf ließen die Ratsherren zustimmende Zwischenrufe ertönen. Immer lauter und immer wütender klangen ihre Stimmen. Sie hielten erst inne, als Johann II. sich von seinem Platz erhob und die Hand hob.
    »Meine Herren«, begann der Fürst und blickte jeden Mann nacheinander an. »Ich brauche nicht zu erklären, was eine Fehde für den Rat der Stadt bedeutet.

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