Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Doch seid Euch gewahr, ich werde Hamburg zur Seite stehen. Um meinem Vetter jedoch entgegen reiten zu können, werde ich Truppen brauchen. Zwar habe ich den mir unterstellten Lehnsmännern schon den Befehl sich zu rüsten zukommen lassen, doch jeder Mann mehr, und auch jede Münze mehr, könnte die entscheidende Wende bringen. Drum teile ich Euch Herren jetzt mit, dass ich eben einen Vorschlag von Willekin Aios erhalten habe, mit dem sicher alle einverstanden sind. Ich werde der Stadt noch heute die kleine Alster überschreiben und von dem Geld neue Truppen zusammenstellen. Mit diesen Männern werden ich dann …«
In diesem Moment stürmte ein Ratsbote ins Gehege. Sein Kopf war puterrot. Er hatte den Grafen nicht unterbrechen wollen, schon gar nicht auf diese ungehörige Weise. Doch sein bloßes Erscheinungsbild reichte aus, um die Aufmerksamkeit aller Ratsherren zu erregen. Augenblicklich sank der Bote vor Scham auf die Knie und senkte schuldbewusst den Blick. »Bitte verzeiht mein unverschämtes Eindringen.«
»Sprich, Ratsbote!«, forderte der Graf, der keine Geduld für die Entschuldigungen des Mannes hatte.
»Draußen steht ein Mann, der unaufhörlich fordert, angehört zu werden.«
»Wer ist er?«, fragte der Graf.
»Er sagt, dass er einer der Männer des getöteten Ritters Ribe ist.«
»Lasst ihn eintreten.«
Noch bevor der Ratsbote sich auch nur von seinen Knien erheben konnte, stand der Mann auch schon im Gehege. Seine Haltung und sein Körper wiesen erhebliche Spuren eines Kampfes auf, doch sein verbundener Kopf machte deutlich, dass er bereits versorgt worden war. Die nötige Verbeugung vor dem Grafen bereitete ihm sichtlich Schmerzen.
»Wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Arnulf.«
»Ihr gehörtet zu Eccard Ribe?«, fragte Johann II. interessiert.
»So ist es. Ich habe den Überfall gestern als Einziger seiner Mannen überlebt, wenn ich auch eben erst aus meiner Besinnungslosigkeit erwacht bin. Ich habe Euch etwas Dringliches mitzuteilen.«
»So sprecht, Arnulf.«
»Vor zwei Tagen sind wir von der Riepenburg aus losgeritten. Ritter Eccard war aufgrund einer Äußerung Graf Gerhards davon überzeugt, dass dieser vorhatte, Hamburg am Tage des Kinderbischofsspiels anzugreifen. Wir wollten eigentlich schon früher hier eintreffen, doch wegen des Tauwetters waren viele Wege so überschwemmt, dass wir einen weiten Bogen reiten mussten. Dort kamen uns auf den Straßen Bauern Eurer Lande mit ihren Familien entgegen. Sie erzählten uns, dass die Ritter Gerhards II. ihre Dörfer niedergemacht hatten. Alle Häuser sollen durchs Feuer zerstört worden sein, alles Vieh vertrieben und die Vorräte geraubt. Die wenigen überlebenden Männer, Frauen und Kinder befanden sich auf dem Weg in die befestigten Städte. Die meisten werden wohl nach Segeberg zu Eurem Bruder ziehen, doch sehr wahrscheinlich kommen bald auch einige von ihnen hier an.«
»Was sagst du da?«, fragte Johann II. ungläubig. Er wollte kaum glauben, mit welcher Heftigkeit sein Vetter vorgegangen war. »Wie groß ist die Zerstörung?«
»Genau kann ich es nicht sagen, Herr. Doch den Aussagen der Bauern nach, hat Graf Gerhard vor nichts Halt gemacht. Überall soll gemordet und gebrandschatzt worden sein. Von vielen Dörfern sind wohl nur noch die behelfsmäßig aufgeschütteten Gräber übrig, da der Boden zu hart war, um die Toten in der Erde zu begraben.«
»Und Kiel …?«
»… hat wohl wie durch ein Wunder keinen Schaden genommen. Jedenfalls habe ich nichts von einem Angriff auf Kiel gehört.«
Graf Johann fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schlussfolgerte fassungslos: »Er hat die Dörfer, die Riepenburg und Hamburg also nahezu gleichzeitig angreifen lassen, damit niemand den anderen warnen konnte.«
Nun ergriff der Bürgermeister das Wort. Auch er hatte sich erhoben, um zu den Ratsherren zu sprechen. »Ihr habt es gehört. In den nächsten Tagen werden viele Menschen aus den umliegenden Dörfern zu uns kommen. Sie brauchen Obhut und Verpflegung. Einige werden möglicherweise verletzt sein …«
»Ich werde diese Kunde an die Beginen, das Heilige-Geist-Hospital und die Klöster weitergeben lassen«, bot sich Johann Schinkel an.
»Und ich werde jemanden an die Hospitäler der Stadt aussenden, damit sie vorbereitet sind«, ließ Olric Amedas verlauten.
»Gut«, schloss Willekin Aios sichtlich betrübt und wandte sich noch einmal an den Grafen. »Werdet Ihr Hamburg morgen verlassen?«
»Ja, ich muss sehen, wie es um Kiel steht
Weitere Kostenlose Bücher