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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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schickten die Frauen sie hinaus. Sollten sie besser etwas mit ihren Händen machen, um sich abzulenken. Beide hatten dankend angenommen, denn draußen konnten sie helfen, die Straßen zu räumen und so ihre Köpfe von den immer gleichen Denkschleifen befreien.
    Ava und Oda blieben zurück, um Margareta und Runa zu versorgen. Nur selten ging eine hinaus, um Wasser oder Leinen zu holen. Dabei sprachen die beiden Frauen kein einziges Wort miteinander.
    Seit dem Vorfall in der Küche hatten sie sich nichts mehr zu sagen. Bloß in Gegenwart anderer rissen sie sich zusammen und tauschten die nötigsten Sätze, um nicht aufzufallen, doch hier konnte sie keiner sehen – es gab keinen Grund für Heuchelei. Stumm aber gemeinsam hatten sie die Ohnmächtigen zunächst entkleidet und gewaschen. Dabei waren ihnen mächtige Schwellungen am Kopf und Knöchel Runas aufgefallen. Ansonsten allerdings schien sie, bis auf ein paar Kratzer und Schrammen, unversehrt zu sein – jedenfalls äußerlich.
    Als es nichts mehr zu tun gab, setzte sich Ava an die Kante von Runas Bettstatt und tupfte ihre Stirn ab.
    Oda wachte an Margaretas Seite und hielt ihre Hand. Flehentlich blickte sie auf das Gesicht der Schwangeren. Zwischendurch wanderte ihr Blick nach unten, zu der kleinen Wölbung ihres Bauchs, dann wieder zu ihrem Gesicht. Hätte sie es nicht besser gewusst, wäre Oda versucht gewesen zu glauben, dass Margareta schlief. Doch sie schlief nicht! Die Schwangere lag im Schock darnieder. Plötzlich erfasste Oda eine unerträgliche Scham. Wie hatte sie bloß so missgünstig sein können? Margaretas Glück war ihr noch vor wenigen Tagen unerträglich erschienen, und heute schon war sie Witwe. Trotz des Kindes in Margaretas Bauch, fühlte Oda keinen Neid mehr, sondern bloß Reue und tiefstes Mitleid.
    Ava hatte eine gefühlte Ewigkeit über Runas blasses Gesicht gestrichen und irgendwann begonnen, leise ihren Namen zu rufen, um die fürchterliche Stille in der Kammer zu durchschneiden. Lange hatte dies keine Wirkung gehabt, dann aber öffnete sie endlich die Augen.
    »Runa! Großer Gott und Heilige Maria. Wie geht es dir?«
    »Ich … ich habe … solches Kopfweh!«
    »Du hast einen Schlag abbekommen. Tut dir sonst noch was weh?«
    »Mein Fuß!«
    »Er ist geschwollen, aber nicht gebrochen, soweit ich es gesehen habe. Kannst du ihn bewegen?«
    Unter sichtlichen Schmerzen presste sie das Wort ja hervor.
    Plötzlich riss Runa die Augen auf. Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. »Wo ist Freyja?«
    Ava zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Sie wurde noch nicht gefunden. Der Mann, der dich zur Burg brachte, sagte, er habe dich an der Böschung eines Fleets aufgelesen. Ein Kind sei nicht bei dir gewesen.«
    »O nein, o Heilige Mutter Gottes, nein!«, schluchzte Runa sofort und schlug die Hände vor das Gesicht. »Mein armes Kind! Wo kann es nur sein? Sie ist wahrscheinlich alleine und hat große Angst …«
    Ava nahm ihre Schwägerin in die Arme und ließ sie weinen. So schlimm ihre Gedanken auch waren, sie hoffte dennoch, dass sie der Wahrheit entsprachen! Denn anderenfalls müssten sie sich auf die grausamste aller Möglichkeiten gefasst machen – nämlich, dass Freyja es nicht geschafft hatte! Schon längst waren einige Männer auf Befehl der Gräfin in den Straßen unterwegs, um nach dem Mädchen Ausschau zu halten. Besonders das Fleet, in dem man Runa gefunden hatte, sollten sie mit langen Stöcken durchsuchen; bis zum Abend würden sie mehr wissen. Dann richtete Ava das erste Mal ihr Wort an Oda. »Bitte hole Walther.«
    Oda nickte und erhob sich. Als sie gerade gehen wollte, entdeckte sie einen kleinen aber schnell anwachsenden roten Fleck auf dem Laken Margaretas. Er war direkt unter der Wölbung. Oda legte ihre Hand vor den Mund und schreckte zurück. Als sie wieder hochschaute, blickte sie direkt in die weit aufgerissenen Augen der Schwangeren. Ihr wurde heiß und kalt vor Angst. In dem Versuch, Margareta zu beruhigen, stürzte sie zum Bett und ergriff ihre Hand. »Du … hast einen großen Schock erlitten … Sicher brauchst du … nur etwas Ruhe.«
    Es war der siebte Dezember, als drei Reiter durchs Spitalertor geritten kamen. Sie passierten die vom Feuer unberührten und für das Kinderbischofsspiel geschmückten Häuser, die ganz plötzlich etwas sehr Trauriges an sich hatten. Schon beim Pferdemarkt gab es keinen Zweifel mehr: hier also auch!
    Die Herzen wurden ihnen schwer. Ihre Gesichter zeigten die Spuren tiefer Trauer

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