Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
und verbeugte, sprach er laut: »Bi den lieden wart geriten, manic tjost nach ritters siten. Diu liet man vil gerne sanc, da fiwer uz tjost von helme spranc.« Nach diesen willkürlich gewählten Worten aus einem Lied über Ritter und den Tjost, hatte er auch die Aufmerksamkeit des Letzten sicher. Erst jetzt begann er, die Gegner vorzustellen: »Ihr weit Gereisten und Bürger der Stadt. Endlich beginnt der Tjost, auf den wir alle schon so lange gewartet haben. Ich habe die Ehre zu verkünden, mit großer Freude und Untertänigkeit, …«, nun verbeugte er sich vor den Grafen, »… wer heute als Erste die Lanzen zu kreuzen belieben.«
Die Zuschauer jubelten und klatschten nun so laut, dass seine nächsten Worte fast untergingen.
»Folgende mutige Männer stehen sich gegenüber: zu meiner Linken, weit gereist, aus dem Westen von der Weser kommend, die Gaue Wigmodi, Waltsati, Heilanga und das Alte Land durchstreifend, über etliche Flüsse und weites Land zu uns gekommen ist der edle Ritter Hildebrand von Leenhorst, Gefolgsmann des Grafen Johannes I. von Stotel!«
Der Sprecher streckte seinen linken Arm aus, und der sowieso immer leicht zu vernehmende unterschwellige Jubel erscholl erneut in voller Lautstärke. Als der vorgestellte Reiter dann auch noch den Arm zum Gruß hob, begann die Menge augenblicklich zu toben. Dass unter der Rüstung nicht der eben genannte Ritter und Gefolgsmann des Grafen von Stotel war, sondern der Graf höchstpersönlich, bemerkte augenscheinlich niemand. Nur Runa, Walther und Eccard kannten die Wahrheit. Übergangslos wandte der Sprecher sich zur anderen Seite, denn er hatte ja noch einen Mann vorzustellen.
»Zu meiner Rechten befindet sich der Gefolgsmann des Grafen Gerhard II. von Plön und Sohn des Hermann Ribe, gekommen aus dem Südosten des Landes von seiner Burg, die, gut geschützt von undurchdringlichen Wäldern und umgeben von den Gewässern der Elbe und ihrer Nebenflüsse, liegt. Der edle Ritter Eccard Ribe!«
Auch diese Ankündigung ließ die Menge applaudieren, jedoch verhaltener. Schließlich war dieser Ritter ein Anhänger des ungeliebten Vetters ihres Grafen Johann II. von Kiel. Doch heute sollte es nicht um alte Zwistigkeiten der Edlen gehen. Das Turnier diente nur der Erheiterung – Streitigkeiten hatten hier keinen Platz. Es war deutlich zu spüren, dass die Männer und Frauen sich an diesem Tage dem Frohsinn verschrieben hatten, und die übertrieben prunkhafte Vorstellung des Sprechers tat ihr Übriges. So wurde es den Schaulustigen gestattet, die Ritter bloß als das zu sehen, was sie eigentlich auch sein sollten: als ehrenhafte Helden!
Flüsternd sagte Runa zu Walther: »Hoffentlich erringt er den Sieg. Hier, unter den Anhängern Johanns II., hat er es sowieso schon nicht leicht.«
»Das stimmt. Aber auch wenn ich dich nicht beunruhigen möchte, wir sollten uns lieber wünschen, dass er den Kampf heil übersteht. Ich wollte es mir vorhin ja nicht anmerken lassen, doch der Graf ist ein gefährlicher Gegner. Er hat sicher zehn Jahre mehr Kampferfahrung und gilt als skrupellos.«
Runa blickte ihren Mann erschrocken an. »Du sagst es, als wäre es ernst. Dabei ist es doch nur ein Spiel!«
»Ja, ein Spiel unter Männern!«, war Walthers vielsagende Antwort, die von Runa aber nicht mehr hinterfragt werden konnte.
»Möge der Tjost beginnen!«
Der Sprecher konnte sich gerade noch vom Kampfplatz retten, als die Gegner ihren Rössern die Hacken gaben, und diese sofort in ihre schnellste Gangart fielen. Mit jedem Galoppsprung in die Richtung des Widersachers neigten sich die eben noch aufrechten Lanzen weiter nach vorn. Als sie kurz voreinander waren, hatten die Waffen die Waagerechte erreicht. Die Spitzen waren so ausgerichtet, dass sie direkt auf den gegenüberliegenden Mann zeigten. Beide Ritter hatten nur ein Ziel: den anderen aus dem Sattel zu heben oder zumindest einen Treffer am Schild zu landen. Doch keinem von beiden gelang Ersteres. Mit einem lauten Knallen krachte Holz auf Metall.
Eccard wurde hart getroffen. Sein Oberkörper neigte sich gefährlich nach hinten, doch er blieb auf seinem Pferd.
Die Menge tobte. Nach diesem Treffer gab es kein Halten mehr. Jetzt wollten sie mehr – und vorzugsweise wollten sie einen Mann fallen sehen!
Runa drehte ihren Kopf kurz weg und klammerte sich mit verzerrtem Gesicht an Walthers Arm. Dann wagte sie wieder hinzusehen.
Eccard hatte sich gefangen und saß wieder aufrecht auf Kylion. Seinen Gegner hatte er nur
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