Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
Vom Netzwerk:
Rüstung befand, sagte er: »Gut geritten, Graf von Stotel. Ich gratuliere zu Eurem Sieg.«
    Darauf zügelte der Angesprochene sein Pferd und wendete es mit einer Hand. Eben noch hatte er es als einen verrückten Zufall abtun wollen – eine Laune der Natur vielleicht –, doch konnte es auch sein, dass die Wahrheit eine andere war? Abermals schaute er dem Mann eindringlich ins Gesicht.
    Walther, der gut verstehen konnte, dass der Graf sich wunderte, erklärte sich, ohne dass der Mann nachfragte. »Ich war dabei, als Euer Knappe die Nachricht überbrachte, dass Ihr selbst gegen Eccard Ribe anzutreten wünscht.«
    »Gehört Ihr zu seinem Gefolge?«
    »Gewissermaßen«, antwortete Walther, den das Verhalten des Mannes erstaunte, vage.
    Plötzlich wurde es unruhig, denn Johann II. und Margarete von Dänemark hatten sich erhoben.
    Nun war es Eccard, der sich zu Wort meldete und zu seinem Gegner sagte: »Verzeiht, wenn ich Euch bevormunde, Graf, doch die Schauenburger, die ich kenne, sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt. Wenn der Vetter meines Herrn von vergleichbarem Wesen ist, solltet Ihr besser keine Zeit verlieren und Eure Ehren jetzt entgegennehmen.«
    Der Blick des Stotelers fuhr herum zum Grafenpaar. Dann schaute er ein letztes Mal auf Walther, bevor er davongaloppierte und vor der Gräfin zum Stehen kam.
    Walther starrte ihm hinterher; er sah noch, wie Margarete von Dänemark ein buntes Band von einer ihrer Hofdamen entgegennahm und den Sieger des Tjosts aufforderte, die Waffe zu senken. Mit einem Knoten befestigte sie die Seide an der Spitze der Lanze, die bloß eine Handbreit von ihren zarten Fingern entfernt war. Der Graf verbeugte sich ein letztes Mal vor den Gastgebern, hob dann die Waffe und ließ das Band im lauen Wind wehen. Dann nickte er ein letztes Mal und galoppierte davon.
    »Sag mal, bist du gekommen, um mir zu meinem Zelt zu helfen, oder willst du mich vielleicht an der Absperrung in der Mitte des Platzes festbinden, damit ich noch länger das Gespött der Menge bin?«, fragte Eccard seinen Freund, der unverändert seinen Arm festhielt und auf dem Kampfplatz stand wie ein Baum, mit grantiger Stimme.
    »Natürlich bin ich gekommen um dir zu helfen. Kannst du laufen?«
    »Ja, wenn du mich nicht festhältst schon.«
    Gemeinsam verschwanden sie aus dem Sichtfeld der Zuschauer und machten sich auf zum Geteld Eccards, wo Margareta sicher schon fast vor Sorge umkam. Doch der Blick des Grafen von Stotel ging Walther den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf.

2
    Thymmo war schon früh am Morgen in den Garten der Domkurie gegangen. Dort verbrachte er viel Zeit, denn hier war er ungestört. Er war ein nachdenklicher kleiner Junge von sieben Lenzen, der seines Alters voraus war und gerne allein blieb; doch das war nicht immer so gewesen.
    Seit seine Eltern ihn bei dem Domherrn zurückgelassen hatten und mit den Geschwistern nach Kiel gezogen waren, fragte er sich täglich, was er falsch gemacht haben könnte. Immerzu suchte er nach Antworten, dachte nach und spielte den Tag des Abschieds wieder und wieder in seinem Kopf durch. Mutter hatte ihn lange umarmt und viel geweint. Sie sagte, dass er in der Domschule fleißig lernen sollte, damit sie stolz auf ihn sein konnte. Vater hatte ihm Lebewohl gesagt und zum Abschied eine Kette um den Hals gehängt. Sie bestand aus einem ledernen Band mit einer kleinen Flöte daran, die einen hellen Ton ausstieß, wenn man hineinblies. Diese Kette trug Thymmo fortan jeden Tag unter seiner Kleidung. Es war das Einzige, was ihm von seinen Eltern geblieben war.
    Nun lebte er bei Johann Schinkel in der Domkurie nahe dem Dom, wo er auch zur Schule ging. Hier hatte er eigentlich ein gutes Leben. Der Domherr und Ratsnotar war überaus freundlich zu ihm – ebenso seine Diener, Werner und Anna, und deren sieben- und sechsjährige Töchter Beke und Tybbe. Die Kurie bestand aus einem zweistöckigen Steinhaus mit richtigen Butzenscheiben, zwei Nebengebäuden, in denen ein paar Tiere und die Dienerschaft wohnten, und ebenjenem wundervollen kleinen Garten, der gerade in den schönsten Herbstfarben leuchtete.
    Thymmo mochte diese Jahreszeit – brachte sie doch herrlich bunte Blätter hervor, die er nur allzu gerne sammelte. Schon eine ganze Handvoll besonders farbenprächtiger hatte er ausgewählt, die er später zwischen die Seiten der dicken, schweren Bücher von Johann Schinkel legen würde, um sie zu trocknen und zu pressen. Auch wenn er wusste, dass der Geistliche dies eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher