Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
oder?« Ihr Blick wanderte auf seinen fleckigen Wams. Manchmal kam es Ava vor, als wäre Christian eines ihrer Kinder, denn es schien ihm einfach unmöglich zu essen und zu trinken, ohne sich zu beschmieren.
»Ist ja schon gut! Ich gehe ja schon …!« Christian verschwand aus der Küche und schritt die Stiegen hinauf. Er hatte wirklich nicht die geringste Lust, Ehlers Predigt zu hören. Bloß Ava zuliebe ging er mit. Seine Abneigung gegen den Zwanzigjährigen war nicht grundlos. Seit Jahren schon schlug sich der Rat mit dem Scholastikus herum, und immer handelte es sich um dasselbe Thema: die benötigten Gelder für die Nikolaischule! Johannes von Hamme legte dem Rat immer neue und immer frechere Kostenaufstellungen vor, die dieser aber bedingungslos zu zahlen verpflichtet war, seitdem der Erzbischof dem Magister Scholarum die Oberaufsicht über beide Schulen Hamburgs übertragen hatte. Es war für jedermann offensichtlich, dass Ehler an diesen Dingen nicht unbeteiligt war, denn ganz egal, wo man Johannes von Hamme auch begegnete, der junge Domherr war stets an dessen Seite! Er war wie ein Schatten seines Mentors, und so war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Avas ältester Sohn als Vertreter des Scholastikus’, und Avas Gemahl als Mitglied des Rates, aneinandergerieten. Heute war ihr Verhältnis so unterkühlt, dass es schon als Erfolg galt, wenn sie einander nicht bespuckten. Christian hätte gut mit seiner Verachtung leben können, doch Ava litt darunter, weshalb er sich immer wieder zusammenriss. Tief in sich allerdings, fühlte er nur Geringschätzung für den stets so übellaunigen und viel zu glaubensstrengen jungen Mann, der jeden Spaß im Leben zu verachten schien und somit das komplette Gegenteil von ihm selbst war.
Der Ratsherr war noch in Gedanken, als plötzlich sein Name hinter ihm ertönte.
»Christian!«
Der Gerufene drehte sich um. Vor ihm stand Hannah. Es war unverkennbar, dass sie ihren verführerischsten Blick aufgesetzt hatte.
»Nenn mich nicht so!«, sagte er streng. »Du weißt, wie du mich anzusprechen hast.«
»Schon gut, schon gut.«
»Was ist denn?«
Die Magd kam näher; so nah, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Sie hob ihre Hand und legte sie ihrem Herrn auf die Brust. Dann gurrte sie geradezu: »Wann ruft Ihr mich endlich wieder in Euer Bett? Es ist schon so lange her, dass ich bei Euch liegen durfte, und mein Körper dürstet nach …«, langsam fuhr sie mit den Fingern zu seiner Mitte. Als sie da angelangt war, wo sie hinwollte, griff sie zu.
Christian zuckte zusammen.
Flüsternd brachte sie den Satz zu Ende. »… nach Eurem harten Gemächt zwischen meinen feuchten Schenkeln.«
Es war nur ein kurzes Zögern, aber es war da. Christian war ihr gegenüber nicht abgeneigt, und solch ein Verhalten machte es ihm nicht gerade leicht zu widerstehen, doch sein Verlangen war bloß körperlich. Er hatte keine aufrichtigen Gefühle für Hannah. Ava hingegen liebte er! So ging er einen Schritt zurück und wischte ihre Hand beiseite. »Nimm deine Finger von mir, Hannah. Was ist in dich gefahren, Weib? Ich wünsche nicht, dass du dich mir noch einmal auf diese Weise näherst. Meine Frau ist im Haus. Zeige gefälligst mehr Achtung ihr gegenüber. Und nun geh mir aus dem Weg!« Christian ließ Hannah einfach stehen.
Die Magd bekam einen roten Kopf und verschwand wieder in die Kammer mit den Kindern. Welch ein beschämender Augenblick! Sie hatte zu viel gewagt. So schnell würde sie nicht mehr versuchen, ihn zu verführen. Wieder einmal stellte sie fest, was ihr nach all den Jahren eigentlich schon längst klar sein müsste: Ihr Herr benutzte sie bloß, sein Herz aber gehörte ihr – ganz gleich, wie oft sie es in ihrer Mägdekammer taten, sobald die Herrin hochschwanger war. Hannah verachtete Ava immer mehr; und sich selbst gleich mit dazu! Sie hätte stolz sein und sich ihm das nächste Mal verweigern müssen, doch sie hatte diesen Stolz schon längst aufgegeben. Inständig hoffte sie, ja sie flehte geradezu, dass ihre Herrin bald wieder guter Hoffnung war, denn Hannah liebte Christian Godonis, und sie würde immer nehmen, was sie kriegen konnte! Nachdem sie die Tür ins Schloss hatte fallen hören, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Ihre einzige Genugtuung war, dass sie dem ältesten Sohn ihrer Herrin vor vielen Jahren erzählt hatte, was sie einst im Schnee auf dem Kattrepel hatte beobachten können. Ava Godonis war im Herzen eine Hure, die für Godeke von
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