Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
schon los.«
»So ein Mist«, fluchte sie noch immer atemlos. »Warum mussten ausgerechnet wir an diesen Kerl geraten?« Dann schlug sie vor: »Vielleicht sollten wir zurückgehen und ausharren, bis einer der Dienstboten oder Mägde die Burg verlässt. Das Gesinde weiß doch überall am besten Bescheid.«
»Ha, das kannst du gern alleine tun«, ließ Bentz sie wissen. »Mir hat das eben gereicht. Was glaubst du, was der mit uns macht, wenn wir da wieder auftauchen? Lass uns wenigstens bis zur Wachablösung warten.«
Tybbe wusste, Bentz hatte recht. »Hmm, in Ordnung. Dann sollten wir uns jetzt vielleicht aufteilen und uns in der Stadt durchfragen. Geh du die Straßen um die Burg ab. Erkundige dich überall nach dem Spielmann, wo viele Menschen sind. Schneider, Bäcker, Schmiede – was du finden kannst. Ich laufe am Hafen entlang und frage die Männer dort nach Sibot. Der Wirt sagte mir, dass auf dem Weg dorthin die Schuhmacher ansässig sind. Vielleicht wissen die etwas. Wir treffen uns dann vor der Kirche.«
»Gut, dir viel Glück«, sagte Bentz mit einem Lächeln und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was gerade in ihm vorging. Erst als Tybbe außer Sichtweite war, hielt er einen Mann an, der seiner Erscheinung nach ein Kaufmann war. Er wusste, wo man fand, was Bentz begehrte. Nicht einmal weit war es bis zu seinem Ziel, welches allerdings fern der Burgstraße lag. Als er davorstand, zögerte er kurz. Es brauchte einen Augenblick, sich zu überwinden. Bentz wusste, dass das, was er jetzt zu tun hatte, seine Pflicht war, doch er wusste nicht, ob er es auch wirklich aus voller Überzeugung tat. Dennoch betrat er wenig später die städtische Botenanstalt. Schnell wollte er es hinter sich bringen. Der Mann, den er fand, war nach eigener Aussage ein guter Reiter. Ihm diktierte er ein Schreiben und entlohnte ihn großzügig, damit der Bote gewillt war, die kurze Strecke vielleicht sogar bis zum Abend zu schaffen. Sofort sollte er sich auf den Weg machen, was der Mann ihm auch mit seinem Boteneid versprach.
Daraufhin ging Bentz gedankenversunken die Burgstraße entlang – jedoch ohne auch nur mit einem Menschen zu sprechen, wie Tybbe es ihm aufgetragen hatte. Als es Zeit wurde, wandte er sich zum Marktplatz, wo er sie auch gleich am Fuße der Kirche erblickte.
»Da bist du ja«, sagte sie mit erwartungsvollem Gesicht.
Bentz fragte als Erster: »Und, konnte dir jemand helfen?«
»Nein, niemand. Absolut niemand«, sagte sie enttäuscht. »Wie war es bei dir?«
»Nichts«, log er. »Wie es scheint, sind die Kieler nicht besonders an Spielleuten interessiert oder an Fremden, die seltsame Fragen stellen.«
Tybbe war plötzlich sichtlich niedergeschlagen. »Das macht alles doch überhaupt keinen Sinn. Was suche ich eigentlich noch hier? Ich suche … irgendetwas«, gab sie sich selbst ihre verdrießliche Antwort.
Bentz lachte bitter auf. »Ja, es ist in der Tat irrsinnig, dass wir überhaupt hier sind, bloß weil ein unbekannter Spielmann ein Lied gesungen hat, was du zu kennen meintest.«
Tybbe antwortete nicht gleich. Sie lehnte sich an eine Häuserwand und schloss kurz die Augen. Den halben Tag war sie nun herumgerannt und hatte zig Leute gefragt, keiner schien den Spielmann zu kennen. Für gewöhnlich war sie niemand, den schnell der Mut verließ, doch letzte Nacht in der Kammer der Herberge war ihr klargeworden, was für ein hohes Risiko sie eingegangen war. Sie konnte nicht mehr zurück ins Kloster, sie war unverheiratet, und ihre Mittel würden nicht ewig reichen. Was hatte sie sich bloß bei ihrer Flucht gedacht? »Wie es scheint, ist es so, wie du es gesagt hast. Die Stadt besteht bloß aus vielen Häusern mit einer Mauer darum. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Ich weiß nicht so recht, was ich eigentlich erwartet habe.«
»Vielleicht hat der Spielmann sich damals auch einen Scherz mit dir erlaubt? Oder er hat sich falsch erinnert und das Lied, welches du erkannt hast, doch irgendwo anders erlernt.«
»Das wäre möglich«, sagte Tybbe mit einem tiefen Seufzen. »Ach, wenn ich doch bloß etwas mehr über den Spielmann wüsste. Wo er sich sonst aufhält. Oder wenn ich doch noch einmal mit ihm sprechen könnte …«
»Ja, das würde dir sicher weiterhelfen. Doch ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie sinnlos es ist, weiter darüber nachzudenken.«
Tybbe blickte mutlos umher. »Nein, das brauchst du mir nicht zu sagen …«
»Sei nicht allzu enttäuscht. Wir haben uns ja noch
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