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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Auch wenn sie es am liebsten vermieden hätten, Spuren zu hinterlassen, kamen sie nicht umhin, die ihnen entgegenkommenden Reisenden nach dem Weg zu fragen. So näherten sie sich langsam ihrem Ziel.
    Auf ihrer ganzen Reise sprachen sie nur wenig miteinander. Zwar hatte Tybbe viele Fragen auf dem Herzen, doch Bentz schien nicht der Sinn nach Unterhaltungen zu stehen, und so hielt sie sich zurück.
    Dass ihm etwas gänzlich anderes Sorge bereitete, als sie vermutete, hielt er geschickt vor ihr verborgen. Jetzt gab es sowieso kein Zurück mehr. Alles, was er nun noch tun konnte, war, Tybbe weiterhin geschickt in die Irre zu führen – jedenfalls eine Zeit lang – und zu hoffen, dass die Jahre alle Zeichen verwischt hatten.
    Dann endlich erreichten sie Kiel! Nachdem sie auf ihrem gesamten Weg jegliche Städte und die meisten Dörfer gemieden hatten, kam vor allem Tybbe, die sich mit den Jahren an die klösterliche Einsamkeit gewöhnt hatte, die Stadt mit ihrer Größe und Lautstärke im ersten Moment nahezu unwirklich vor. Mit dümmlich aussehender Miene und offenem Mund schritt sie gemeinsam mit anderen Männern und Frauen auf dem einzigen Landweg der Halbinsel im Osten in die Stadt.
    Bentz sah sie von der Seite aus an und lachte. Mit seinem Zeigefinger schob er ihren Unterkiefer wieder nach oben und fragte: »Willst du, dass man uns hier als Bauerntölpel auslacht, die noch nie zuvor eine Stadt gesehen haben?«
    Tybbe erwiderte nichts, hielt fortan aber den Mund geschlossen. Nach einer Weile sagte sie: »Wie kann das sein?«
    »Was meinst du?«
    »Mein halbes Leben lang habe ich im Kloster verbracht, und trotzdem ist die Stadt genau wie in meiner Vorstellung?«
    Bentz bemühte sich, gleichgültig zu schauen, während er mit den Schultern zuckte. »Nun, was hast du erwartet? Eine Stadt ist auch nur eine Mauer mit vielen Häusern darin. Wenn man schon mal eine Mauer gesehen hat und ein Haus, dann ist es doch einfach sich vorzustellen, wie eine Stadt aussieht.«
    Die Chorschülerin blickte ihren Begleiter kopfschüttelnd an. »Das meine ich nicht …«
    »Ist doch auch vollkommen egal«, wiegelte er ab. »Jetzt sind wir hier, und ich habe Hunger. Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal eine Bleibe suchen und dann etwas zu essen?«
    »Gut, tun wir das«, stimmte Tybbe zu und behelligte ihn nicht länger mit ihren Gedanken, die er offensichtlich nicht nachvollziehen konnte.
    Die beiden gingen eine breite Straße am Fuße eines Burghügels entlang, bis sie auf einen Marktplatz kamen. Hier fragten sie ein paar Händler nach einer Unterkunft. Man verwies sie in die Flämische Straße. Tybbe und Bentz brauchten bloß wenige Schritte zu gehen, da kamen sie an ein Haus, über dessen Tür ein hölzernes Schild mit einem Hauswappen hing. Z um wilden Ross stand darauf geschrieben, was allerdings nur Tybbe zu lesen vermochte. Bentz jedoch erkannte das übliche Bild einer Herberge mit den grün belaubten Ästen. Sie traten ein und fragten nach dem Wirt. Kurz darauf erschien ein großer Kerl mit einem verschlagenen Blick. »Was kann ich für euch tun?«
    »Wir brauchen eine Unterkunft.«
    Der Wirt blickte von Tybbe zu Bentz, der mit seiner geistlichen Aufmachung in Begleitung eines Mädchens natürlich Aufmerksamkeit erregte. »Macht ihr mir auch keinen Ärger?«
    »Nein, wir sind anständige Leute.«
    »Könnt ihr auch bezahlen?«
    »Ja«, antwortete Tybbe und holte einen schmalen Goldring hervor. »Wie lange dürfen wir hierfür bleiben?«
    Der Wirt bekam ein Blitzen in den Augen und griff nach dem Schmuckstück. »Lange, meine Hübsche. Lange. Gäste mit solcherlei Bezahlung müssen auch nicht im großen Schlafraum nächtigen. Für Leute wie euch habe ich eine Kammer mit bloß zwei Betten. Aber …« Der Mann zögerte kurz. »Ihr zwei … Ich meine … seid ihr …«
    »Bruder und Schwester!«, warf Bentz schnell ein.
    »Gut, dann kommt mit.«
    Sie schritten hinter dem Hünen ein paar Stiegen hinauf, wo sie einen Gang mit vier Türen betraten. Die letzte Tür auf der rechten Seite wies er ihnen zu. »Das ist eure Kammer.« Noch einmal schaute er seine beiden Gäste an. Irgendwas an ihnen war seltsam. »Ich rate euch, verhaltet euch anständig, sonst fliegt ihr raus! Ganz egal für wie lange ihr bezahlt habt. Verstanden?«
    Beide nickten, dann traten sie ein. Bis auf zwei mächtige Strohsäcke in zwei gegenüberliegenden Ecken und ein Talglicht in der Mitte, welches auf einer umgedrehten Holzkiste stand, war die Kammer leer. Doch

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