Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
mangeln, die du befragen kannst.«
»Du sagst es«, ließ Tybbe angesichts der großen Aufgabe, die vor ihr lag, fast schon mutlos verlauten. Mit großen Augen schaute sie in die dicht gedrängte Menge. Dann straffte sie den Rücken, wandte sich Bentz zu und sagte kraftvoll: »Ich lasse mich nicht abschrecken. Meine Niedergeschlagenheit von vor zwei Tagen ist fort. Lass uns heute die Schneider der Stadt fragen. Wo viele Weiber sind, wird auch viel getratscht.« Tybbe wartete Bentz’ Antwort gar nicht ab. Sie hatte ihm gerade den Rücken gekehrt, da lief sie mit Schwung in die Arme einer Frau.
Diese erschrak heftig und fasste sich an ihr Herz. »Heilige Mutter Jesu!«
Auch Tybbe fuhr zusammen und schlug der Magd dabei einen Korb mit Eiern darin aus der Hand. Ihr kläglicher Versuch, den Korb im letzten Moment doch noch festzuhalten, endete im Unglück. Die Eier flogen heraus und landeten zum größten Teil auf Tybbes Kleid, wo sie augenblicklich schmierige Spuren hinterließen.
Einen Moment blickten die Frauen sich nur erschrocken an. Es war nicht recht auszumachen, wer die Schuld an diesem Missgeschick trug. Sie beide hätten besser aufpassen können. Doch für solche Gedanken war es jetzt auch zu spät.
»Ich bin untröstlich …«, stammelte die Magd zerknirscht.
»Ach was, ich habe dich umgerannt«, erwiderte Tybbe. »Und nun sind alle deine Eier kaputt. Ich werde sie dir ersetzen.«
»Kommt nicht in Frage! Sieh nur dein Kleid an.«
Tybbe schaute an sich runter. Sie sah schlimm aus, doch es würde nicht lang dauern, da wäre der Geruch ihr größeres Problem.
»Los, komm mit zum Brunnen. Ich helfe dir, deinen Rock zu waschen. Bei diesem Wetter wird er schnell wieder trocken sein.«
Tybbe wehrte sich nicht. Anderenfalls hätte sie bald eine Wolke fauligen Gestanks hinter sich hergezogen.
Wenig später waren alle Spuren der Eier beseitigt, und die Magd richtete sich wieder auf. »So, das hätten wir. Was für ein Missgeschick …« Plötzlich hielt sie inne und schaute Tybbe mit einem eigenartigen Blick an. Sie verengte ihre strahlend grünen Augen und legte kaum merklich den Kopf schief. »Kenne ich dich nicht?«
»Mich? Wie kannst du mich kennen?«
»Ich weiß nicht, kommst du aus Kiel?«
»Nein.«
»Dann muss ich dich wohl verwechseln.«
»Kann ich dir eine Frage stellen?«
»Ja, was denn?«
»Ich muss wissen, ob in den letzten Wochen ein bestimmter Spielmann in Kiel war.«
»Nun, es sind immer wieder alle möglichen Spielleute auf der Burg. Wie soll ich wissen, welchen von denen du meinst?«
»Du warst schon mal auf der Burg?«, fragte Tybbe aufgeregt.
»Aber natürlich«, lachte die Frau. »Ich verdinge mich dort als Magd.«
»Das ist ja großartig«, stieß Tybbe übermütig aus. »Der Name des Spielmanns ist Sibot. Er muss vor nicht allzu langer Zeit hier gewesen sein, und er reiste mit einem Ochsenwagen, der über und über mit bunten Bändern verziert war. Sogar die Hörner des Ochsen waren geschmückt. Bei ihm waren noch zwei Frauen und zwei Männer, die sich sehr ähnlich sahen.«
»Ach, Sibot! Ja, den kenne ich. Er und seine Gefährten kommen regelmäßig hierher.«
»Wirklich? Du kennst ihn?« Aufgeregt klatschte Tybbe in die Hände.
»Wenn ich es dir doch sage …!«
»Wie kann ich ihn finden? Ich muss mit ihm sprechen!«
»Nun, da muss ich dich wohl enttäuschen. Ich weiß nicht, wohin er gezogen ist und auch nicht, wann er wiederkommt. Vielleicht erst in einigen Monaten.«
Tybbe ließ den Kopf hängen. »Das sind keine guten Nachrichten.«
»Tut mir leid.«
»Ich danke dir trotzdem!«, sagte Tybbe traurig.
Wieder musterte die Magd mit den auffallend grünen Augen ihr Gegenüber genau.
Bentz bemerkte dies und wurde zunehmend unruhiger. Warum starrte diese Frau Tybbe so an? »Auch ich danke dir für deine Auskunft. Wir wollen dich nicht länger aufhalten«, sprach er schnell und zog Tybbe aus dem Weg, damit die Magd weitergehen konnte.
Diese blieb jedoch noch einen quälenden Augenblick lang stehen und blickte in Tybbes Gesicht. Dieses Mädchen! Sie kam ihr so bekannt vor, doch ihr wollte einfach nicht einfallen, warum. »Bist du sicher, dass du nicht schon einmal in Kiel gewesen bist?«
Tybbe schaute noch einmal auf. Ihr Gesicht war von großer Enttäuschung gezeichnet. Sie hörte kaum zu, was die Magd fragte und schüttelte nur den Kopf.
»Komm, Tybbe. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun«, drängte Bentz sie weiter.
»Ja, du hast recht«, sagte sie und
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