Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Herrn, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Die eben gehörten Worte genügten offenbar, um alle Anwesenden fortzujagen. »Hinaus! Alle! Und zwar sofort.«
Die verblüfften Ritter und Damen, Diener und Mägde begriffen schnell, dass sie besser nicht auf eine zweite Aufforderung warten sollten. Geschwind verließen sie die Halle, und bald darauf fiel die schwere Holzflügeltür in ihr Schloss.
»Nun redet schon, Vater!«
Der Geistliche zitterte am ganzen Leib, was auch seiner Stimme anzumerken war. Er versuchte alles mit knappen Sätzen zu erklären, wusste er doch, dass sein Herr ihm keine Gelegenheit zu langen Erläuterungen geben würde, wenn er erst verstand, um was es ging.
Das Geschrei des Grafen hallte über alle Flure der Burg. Sein zunächst nicht zu deutendes Gebrüll wandelte sich irgendwann in handfeste Flüche und Verwünschungen, die sich bald eindeutiger gegen bestimmte Personen richteten.
Der Kirchenmann kam mit dem Kreuzeschlagen kaum hinterher. Bei den ersten der zahlreichen gottlosen Worte versuchte er seiner Pflicht als Beichtvater noch nachzukommen, indem er den Fürsten ermahnte. Als er aber merkte, dass dessen Zorn so auf ihn überzuschwappen drohte, hielt er sich zurück. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ein Durchdringen zu dem aufgebrachten Mann überhaupt wieder möglich wurde. Dann aber waren seine Befehle klar.
Am vergangenen Tage war es so verregnet gewesen, dass sich Tybbe und Bentz kaum aus der Herberge getraut hatten. Strömender Regen und Gewitter waren über Kiel hinweggezogen. Es hatte keinen Sinn gemacht, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen. Heute jedoch schien wieder die Sonne.
Tybbe war schon kurz nach dem ersten Morgenrot erwacht und sogleich zum Fenster gestürmt. Als sie sah, dass der Himmel wolkenlos war, hastete sie zu Bentz’ Strohsack. Hier fiel sie auf die Knie. Eigentlich hatte sie fordernd an seinen Schultern rütteln wollen, damit er aufstand und sie endlich in die Stadt gehen konnten, doch kurz davor hielt sie plötzlich inne. Stattdessen blickte sie ihm eingehend ins Gesicht.
Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Er lag auf der Seite, seine linke Hand ruhte neben seinem Gesicht. Die rechte Hand an seinem Dolch. Fast schien es, als wolle er Tybbe damit beschützen.
Es überkam sie so plötzlich, dass sie sich selbst darüber wunderte. Aber als sie ihn dort so liegen sah, ward ihr zum ersten Mal richtig bewusst, was er alles für sie getan hatte. Seine Anstellung bei dem Müller und sein damit behagliches Leben hatte er für sie aufgegeben. Einfach so . Nur um ihr zu helfen. Tybbe fühlte sich mit einem Mal so schuldig und so schlecht, dass ihr die Tränen kamen. Sie hatte nie gewollt, dass er ihretwegen schlechter lebte als zuvor. Im Gegenteil! Sie wünschte sich, dass es ihm wohl erging – war er doch ihr einziger Freund auf dieser Welt. Und so nahm sie sich vor, auch etwas für ihn zu tun. Sie würde ihm eine kleine Freude bereiten, doch nicht in diesem Augenblick, denn jetzt galt es, auf die Suche zu gehen. Tybbe wischte sich die Tränen fort und berührte Bentz sanft an der Schulter. Kurz darauf öffnete er seine Augen.
»Guten Morgen!«, sagte er verschlafen und gähnte herzhaft.
»Guten Morgen. Du solltest langsam aufstehen. Heute ist das Wetter endlich wieder schön!«
»Ja, ist es das? Aber sicher nicht so schön wie du!«
Tybbe wich eine Handbreit zurück. Mit einer solchen Entgegnung hatte sie nicht gerechnet. Noch nie hatte er ihr etwas Derartiges gesagt, und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ungewollt stieg ihr die Röte ins Gesicht.
Bentz konnte ihre Verlegenheit sehen und bereute seine unbedachten Worte gleich wieder. Sicher hatte sie sie falsch gedeutet. Er selbst fühlte sich nun unwohl. »Tut mir leid, ich …«
»Schon gut!«, fuhr sie mit einem aufgesetzten Lachen dazwischen, erhob sich und winkte hektisch ab. »Wir … sollten jetzt aufholen, was wir die letzten Tage durch den Regen verpasst haben.«
Bentz griff nach seinen Stiefeln und Tybbe nach ihrem Wolltuch, welches sie sich um die Schultern legte. Eine schnelle Mahlzeit in der Gaststube später, traten sie hinaus auf die Straßen. Ihr vierter Tag in Kiel begann.
Auf der Flämischen Straße angekommen, sahen sie sofort, dass an diesem Tage etwas anders war. Die Stadt schien voller als die letzten Tage, und als sie den Platz vor dem Rathaus betraten, sahen sie auch warum – es war Markttag.
Bentz schaute sich um. »Na, heute wird es dir nicht an Leuten
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