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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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wagte nicht zu deuten, warum. Schließlich hatte er alles richtig gemacht. Er hatte getan, was man von ihm erwartete. Bald schon würde man ihn dafür fürstlich entlohnen – dessen war er sich sicher –, was also sollte sein Zaudern?
    »Nun nimm schon, Bentz. Ich will es so.« Als er weiter zögerte, sagte sie: »Komm schon. Du kannst es mir ja eines Tages zurückzahlen. Keine Widerrede. Heute bestimme ich – ein letztes Mal. Ab morgen dann du.«
    Er konnte sich nicht gegen ihr Drängen behaupten.
    Schon hatte sie seine Hand ergriffen und das Geschmeide hineingelegt.
    »Schon gut, schon gut. Ich nehme sie ja schon.«
    Jetzt erst schien sie zufrieden zu sein. »Fein, dann treffen wir uns später wieder hier. Zur Mittagsstunde?«
    Er willigte nickend ein und verließ die Herberge als Erster. Die Sonne fiel ihm ins Gesicht, und er blinzelte ihr entgegen. Tybbes Antlitz war ihm noch immer vor Augen; wie sie sich gefreut hatte, ihm ein Geschenk zu machen. Ja, sie war anders, als er es gedacht hatte! So liebenswürdig …
    … so schickt jemanden nach Kiel, und zwar schnell. Sie ist hier, zusammen mit mir, in der Herberge Zum wilden Ross …
    Nach dem Lesen dieser Zeilen hatte sein Herr den zweiten und entscheidenden Brief mit der Faust zerknüllt – allerdings nicht aus Wut, sondern aus Erleichterung, das war offensichtlich gewesen. Sie war gefunden! Auf den Versender des Briefs war scheinbar Verlass. Wegen des Gewitters hatte der Bote zwar einen Tag länger gebraucht, den Brief zu überbringen, doch die Wahrscheinlichkeit, das Mädchen noch immer in Kiel anzutreffen, war hoch.
    Daraufhin hatte der Mann seinen Auftrag erhalten. Sein Herr schickte ihn sofort nach Nordwesten, um der Spur zu folgen. Alles konnte sich noch zum Guten wenden, wenn er erfolgreich war. Er und ebenso der Geistliche, der nach Eintreffen des ersten Briefs nach Südwesten zum Kloster Buxtehude und noch darüber hinaus aufgebrochen war. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie scheiterten. Von ihrem Geschick hing viel ab, vielleicht sogar ihr Leben.
    Noch vor der Schließung des Stadttors hatte er es erreicht, und noch am gleichen Tag gab er sein Pferd in einem Stall am Rande Kiels ab. Von hier aus ging er zu Fuß weiter, denn er wollte sich nicht durch zu viel Aufmerksamkeit verraten, bevor er tun konnte, was er vorhatte zu tun. Wenn alles nach dem Plan seines Herrn lief, dann würde die Angelegenheit hier in Kiel schnell geregelt sein. Warum auch nicht, schließlich hatte er hier ja einen Verbündeten.
    Zu seinem Glück fand er eine Unterkunft ganz dicht neben der Herberge Zum wilden Ross, doch dummerweise waren hier im großen Gemeinschaftsschlafsaal alle Strohsäcke belegt. So hatte er mit dem Boden vorliebnehmen und sich des Nachts in seinen Mantel einrollen müssen.
    Am nächsten Tag wurde der Mann durch die Sonne geweckt, die durch eine schmale Luke genau auf sein Gesicht fiel. Das gleißende Licht blendete seine Augen, dennoch brauchte er eine Weile, um zu verstehen, wo er sich befand. Nachdem er sich erhoben hatte, sah er für einige Zeit bloß helle Punkte vor Augen. Müde fuhr er sich durchs Haar. Er hatte schlecht geschlafen, doch das zählte jetzt nicht. Seine Gedanken galten einzig und allein der Aufgabe, die vor ihm lag, und so nahm er seine Habe und betrat die Flämische Straße, wo er eigentlich vorhatte, sich unauffällig auf die Lauer zu legen.
    Das allerdings wurde ihm erspart. Gerade als er aus der Türe trat, die Herberge Zum wilden Ross auf der anderen Straßenseite liegend, sah er den Mann, den er suchte. Dieser schritt gerade über die Schwelle, dann schaute er einen Moment lang in die Sonne.
    Schnell wandte er sein Gesicht ab, lehnte sich an die Häuserwand hinter ihm, und wartete mit gesenktem Haupt, bis der Mann an ihm vorbeigeschritten war. Hier war nicht der richtige Ort für eine Unterredung, er würde ihm folgen, in der Hoffnung, dass sich bald etwas Besseres ergab.
    Mit einem Mal befand sich Bentz auf dem Marktplatz. Er schaute sich ratlos um, blickte auf das Rathaus links von ihm und in all die Straßen, die von dem Platz abgingen. Dann öffnete er die Hand und schaute die Kette an. Was hielt ihn eigentlich davon ab zu tun, wozu Tybbe ihn aufgefordert hatte? Er konnte sich nicht entsinnen, jemals einfach so losgezogen zu sein, um sich neue Kleidung zu kaufen. Die letzten Jahre hatte er stets alte Sachen von anderen Knechten des Müllers aufgetragen. Heute aber bot sich ihm die Gelegenheit, das erste Mal

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