Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Runa und lächelte.
»Schau sie dir an«, schwärmte Margareta. »Die Gräfin scheint keinen Tag älter geworden zu sein.«
»Ja, du hast recht«, pflichtete Runa ihr bei und versuchte, sich zu entsinnen, wie lange sie Margarete von Dänemark nicht mehr gesehen hatte. Waren es drei Jahre oder sogar schon vier? Das Grafenpaar hatte Hamburg selten besucht und wenn, dann waren sie nie lang geblieben. Runa wusste nicht, ob sie das Interesse an ihnen verloren hatten, seitdem Walther nicht mehr sang und spielte und seitdem Eccard tot war, oder ob sie sich einfach zurückhielten, weil auch sie keine Worte hatten für das, was vor acht Jahren geschehen war. Doch ungeachtet dieser Gedanken löste der Anblick der Kieler Freude in ihr aus.
Die gräflichen Pferde kamen näher. Allen voran ritt Johann auf einem Schimmel. Sein blindes Auge schien über die Zeit weiter in die Höhle gesunken zu sein, und sein Haar war etwas grauer. Ansonsten wirkte alles an ihm wie noch vor ein paar Jahren.
Gräfin Margarete hingegen schien an diesem Tage fast zu leuchten. Das Altern tat ihrer Anmut keinen Abbruch. Ihr mit Gold- oder Silberfäden durchwirktes Kleid schimmerte in der Sonne, fast ebenso wie ihr dickes glänzendes Haar, von dem man das wunderschön geflochtene Ende sah. Erhaben ritt sie auf ihrem Rappen und schaute lächelnd in die Menge. Sie waren schon fast an ihnen vorbei, da bemerkte sie den einstigen Spielmann, dessen Weib und Schwester.
»Mein Gemahl, seht nur …«, sagte sie und zeigte auf die drei.
Graf Johann wandte sich im Sattel um. Als sein Blick auf Walther fiel, erhellte sich seine Miene sogleich. »Spielmann!«
Walther trat vor und verbeugte sich. »Nicht mehr, wie Ihr wisst, mein Fürst.«
»Richtig. Es ist wohl die Hoffnung, die aus mir spricht. Singt Ihr denn immer noch nicht?«
»Wie vermag ich die Wahrheit zu sagen, ohne Euch zu enttäuschen?«
»Dann schweigt besser«, riet der Graf in aller Freundschaft.
Margarete von Dänemark schaute von Walther zu Runa. »Wie lange haben wir uns jetzt schon nicht mehr gesehen?«
»Zu lange, so viel ist sicher. Aber ich habe häufig an Euch gedacht, Fürstin, und Euch noch viel häufiger in meine Gebete eingeschlossen.«
Die Gräfin lächelte auf diese warmherzige Weise, die Runa immer so sehr gemocht hatte.
»Es wäre mir eine große Freude, euch drei heute zum Festmahl auf dem Kunzenhof begrüßen zu dürfen.« Ihr Blick glitt wieder zu Walther zurück. »Selbst dann, wenn wir auf Euer erheiterndes Lautenspiel wohl verzichten müssen.«
Walther verbeugte sich und Runa knickste. Fast gleichzeitig sagten sie: »Wir werden kommen.«
Graf Johann nickte ihnen noch einmal zu, dann trieb er seinen Schimmel wieder an.
»Euch ein gesegnetes Weihefest«, sprach Margarete von Dänemark lächelnd und folgte ihrem Gemahl in einem langsamen Trab.
Runa hatte schon fast vergessen, wie sich die neidvollen und bewundernden Blicke der Bürger anfühlten. Damals, als sie auf dem Kunzenhof gewohnt hatten, waren sie fast schon selbstverständlich für sie gewesen. Jetzt, nach diesem kurzen Gespräch, fühlte sie sich wieder an jene Zeit erinnert, so stechend war manch ein Ausdruck in den Augen der Frauen um sie herum.
Es dauerte zwar noch eine ganze Weile, doch entgegen Margaretas Befürchtungen schafften sie es irgendwann in den Dom, der so vollgestopft war, dass man meinte, seine Außenmauern würden jeden Moment bersten.
Man hatte das südliche Seitenschiff von allen Gerüsten befreit, die Wände und Säulen gesäubert und mit blühenden Zweigen und Blumen geschmückt. Extra für diesen Tag waren Reliquien nach Hamburg gebracht worden, die nun die festlich anmutenden Altäre auf der Südseite des Doms zierten. Dort, wo die Arbeiten am Seitenschiff ihr Ende gefunden hatten, war ein rotes Weihekreuz mit einem Kreis darum aufgemalt worden.
Runa war noch damit beschäftigt, die Pracht des heute zu weihenden Kirchenschiffs zu bestaunen, als Christian zu ihnen stieß. Sein Kopf war rot vor Anstrengung, die er offensichtlich hatte aufbringen müssen, um sich durch die dicht gedrängten Körper zu schieben.
»Christian, wie schön, dass du zu uns kommst. Wo ist denn Ava?«, fragte Margareta erstaunt.
»Wenn ich das wüsste …«, grollte der Ratsmann. »Bis zum letzten Moment habe ich auf sie gewartet. Sie wollte zum Markt und dann zurückkommen.«
Walther winkte ab. »Weiber! Du hättest sie nicht gehen lassen sollen. Auf dem Markt vergessen Frauen alles um sich
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