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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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bitte auf? Darüber, dass Christian mich bevorzugt? Nicht doch, der Neid lässt dich hässlich aussehen, mein liebstes Mariechen!«
    Die beiden Mägde hatten sich noch nie gemocht. Seit sie zusammen im Hause Godonis ihren Dienst taten, kam es regelmäßig zum Streit zwischen ihnen.
    Marie wurde es nun zu viel. Mit einem wütenden Funkeln in den Augen spie sie Hannah entgegen: »Du glaubst, dass er dich wirklich mag, dabei bist du nur seine Hure. Ich spare mir meine Jungfräulichkeit für meinen zukünftigen Ehemann auf. Wir werden noch sehen, wer zuletzt lacht. Spätestens dann, wenn unser Herr deiner überdrüssig ist oder er ein neues Weib ehelicht, wird dir dein Grinsen vergehen. Und nun steh endlich auf, und mach dich nützlich!« Mit einem Ruck riss sie an den Laken, in die Hannah sich eingerollt hatte. Diese verlor darauf das Gleichgewicht und plumpste ohne jede Anmut mit einem dumpfen Laut zu Boden.
    Godeke bekam in der Wohnstube des Hauses nichts von dem Streit der Frauen mit. Bloß ein lautes Poltern ließ ihn kurz aufhorchen. Gleich darauf betrat der nur spärlich bekleidete Christian die Stube und schaute müde auf seinen Freund.
    »Kannst du mir mal sagen, was du so früh hier willst?«
    »Großer Gott, du siehst furchtbar aus und riechst auch nicht viel besser. Hast du schon einmal rausgesehen? Es ist hell, für die meisten Bürger Hamburgs bedeutet das, dass sie ihrer Arbeit nachkommen müssen.«
    »Bitte, Godeke. Nicht jetzt, nicht heute!«, wehrte Christian ab und ließ sich gähnend auf einen Schemel fallen. »Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment zerbersten«, beklagte er sich und rief darauf: »Marie!«
    Mehr Anweisungen brauchte die Magd nicht. Brav kam sie mit zwei Bechern und einem Krug Wein herein, schenkte den Männern ein und verließ die Stube genauso wortlos, wie sie gekommen war.
    Christian leerte seinen Becher in großer Eile und schenkte sich nach, war er doch überzeugt davon, dass Wein am Morgen die Kopfschmerzen vertrieb, die er noch am Abend zuvor hervorgerufen hatte. »Nun sag schon, warum bist du hier? Doch nicht etwa, um mir Vorhaltungen wegen meines Aussehens zu machen, oder?«
    »Nein, mein Freund. Ich bin gekommen, um mit dir den Schuljungenkämpfen auf den Grund zu gehen.« Mit diesen Worten stand er auf, nahm Christians Becher und trat mit einer gezielten Bewegung den Schemel unter ihm weg. Der übernächtigte Ratsherr fiel zu Boden und bekam sogleich einen Becher Wein ins Gesicht. »Zieh dich endlich an. Ich warte draußen auf dich.«
    Godeke musste tatsächlich gar nicht so lange vor der Tür warten, da trat Christian, in feinste Stoffe gehüllt, heraus. Anerkennend nickend sagte Godeke: »Nun siehst du wieder aus wie ein Ratsherr.«
    »Wo gehen wir eigentlich hin?«
    »Zu Dagmarus Nannonis.«
    »Nur drei Häuser weiter? Und dafür sollte ich mich anziehen?«, scherzte Christian und folgte seinem Freund.
    Kurz darauf wurden die beiden Männer von einer Magd in ein großzügiges Kontor mit einem atemberaubenden Blick auf den Hafen geführt.
    »Mein Herr wird gleich bei Euch sein«, versicherte sie und reichte den Gästen einen Becher Wein, bevor sie verschwand.
    Christian stürzte ihn regelrecht hinunter, doch Godeke widmete dem Wein keinen Blick. Wie von einem unsichtbaren Seil gezogen, schritt er auf die weit geöffneten Fenster des Kontors zu, die sich, umrahmt von dicken roten Vorhängen, hinter einem mächtigen Schreibpult befanden. Gebannt von dem unerwarteten Ausblick, der sich vor ihm erstreckte, ließ er seinen Blick schweifen.
    »Nicht schlecht, das Gesöff. Willst du deinen etwa nicht?«
    »Schau dir das bitte an«, murmelte Godeke in sich gekehrt.
    Es war ein klirrendkalter Novembertag, dessen blassgelbe Sonne das Wasser glitzern und die Dächer leuchten ließ. Die Luft war erfüllt von allerlei Geräuschen, die aus Richtung der Stadt herübergeweht wurden; am blauen Himmel zog eine Schar Gänse in spitzer Formation gen Süden. Das Wasser des Nikolaifleets vor ihm war so weit unten, dass es Godeke schwindelte. Einige Schiffe hatten bereits zur Winterlage festgemacht. Hinter ihren Masten erkannte er den Hafen mit seinem stets geschäftigen Kran und der Kaimauer voll mit jenen Koggen, die es noch zu löschen galt. Zu seiner Rechten sah er die Spitze der Katharinenkirche und weiter links den Westturm des Doms sowie die Kirche St. Petri.
    Godeke war beeindruckt. Ein solches Kontor ließ keinen Zweifel daran, dass man es in Hamburg zu etwas gebracht

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