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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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selbst erdacht? Beides war möglich, denn Walther war in der Lage, zu jeder Gelegenheit das Passende vorzutragen. Abermals konnte sie nicht umhin, beim Lauschen seines Gesangs ins Schwärmen zu geraten. Fast war ihr, als verliebe sie sich jedes Mal ein bisschen mehr in ihren Gemahl, sobald er sang.
    Walthers Augen indes ruhten fortwährend auf Runa, die seinen ersten Sohn in den Armen hielt. Er empfand so viel Liebe bei diesem Anblick, dass er meinte, die Minne verließe seine Lippen wie von selbst. Es gab nur eine Sache, die die Einhelligkeit dieses Augenblicks störte: der Gedanke daran, bald wieder in Hamburg zu sein, wo Johann Schinkel und Thymmo waren. Der bedauernswerte Junge konnte nichts dafür. Natürlich begriff er nicht, warum es notwendig gewesen war, ihn in Hamburg zurückzulassen. Wie sollte er auch? Schließlich war er noch ein Kind. Doch es war die einzige Möglichkeit für ihn und Runa gewesen, wieder zueinander zu finden, was auch gelungen war. Dennoch fühlte Walther Unbehagen bei dem Gedanken, dem einstigen Geliebten seiner Frau und deren Sohn wieder so nah zu sein. Es würde das erste Mal sein, seit sie Hamburg verlassen hatten, und es würde zeigen, ob der Plan für ihre Zukunft funktionierte.
    Zwei Tage später war es dann soweit. Das beachtliche Gefolge hatte sich schon lange im Voraus vorbereitet. Seit dem Morgengrauen wurden die letzten Maßnahmen getroffen, Pferde angeschirrt, Kisten, Truhen und Fässer aufgeladen und allerhand Viehzeug in Käfige gesperrt. Von außen machte es den Anschein, als würde eine ganze Stadt umziehen.
    Erst im letzten Moment, als Mägde und Knechte alles getan hatten, kamen die Edlen hinzu, und als Walther gerade in den Pferdewagen der Gräfin steigen wollte, um sie, seine Frau und Margareta, die beiden Ammen und die Kinder während der Fahrt nach Hamburg mit seinem Lautenspiel zu unterhalten, hielt ihn ein energischer Ruf davon ab.
    »Spielmann!«
    Walther drehte sich um und blickte in die Augen von Graf Johann II., der auf seinem edlen Schimmel angetrabt kam.
    »Eure Laute kann gerne in dem Pferdewagen mitfahren, doch Ihr nicht.«
    »Verzeiht, ich verstehe nicht ganz …«, entgegnete Walther sichtlich verwirrt über die Anweisung und den strengen Ton des Grafen.
    Dieser winkte ihn mit einer knappen Handbewegung näher zu sich ran.
    Dann, ganz plötzlich, machte Walther ein Lächeln auf des Fürsten Gesicht aus.
    »Bleibt hier stehen«, bedeutete Johann II. ihm zu warten, bevor er sich auf seinem Pferd nach hinten drehte und nach jemandem pfiff. Herbei kam ein Diener mit einem Pferd am Zügel. Es war ein schönes Tier, mit kastanienfarbenem Fell und schwarz glänzendem Langhaar. Auf seiner Stirn war ein großer, weißer Stern auszumachen und auf der Nasenspitze eine kleine weiße Schnippe. »Ihr werdet deshalb nicht im Wagen mitfahren, weil Ihr dieses Mal reiten werdet, Spielmann. Und zwar auf eurem eigenen Pferd!«
    Walther blickte wortlos vom Grafen zum Pferd, dann wieder zum Grafen. Keine Regung war seinem Gesicht zu entnehmen. Er war einfach sprachlos. Hatte er tatsächlich richtig gehört?
    »Die Stute ist ein Geschenk von mir.« Der Graf gab dem Diener ein Zeichen, auf dass dieser die Zügel in Walthers Hand legte. »Was sagt Ihr dazu? Gefällt sie Euch?«, fragte der Schauenburger sichtlich zufrieden und mit einem Grinsen bis über beide Ohren. Seine eigene Freude über das Beschenken seines Spielmanns wirkte fast schon kindlich.
    Walther fing sich nur langsam. Er bemerkte nicht, dass Runa ihn seit einer Weile aus dem Pferdewagen heraus beobachtete.
    Im Flüsterton drängte sie: »Nun sag doch endlich etwas!«
    Schließlich erwachte Walther aus seiner Starre. »Herr, ich bin überwältigt. Noch nie in meinem Leben habe ich ein eigenes Pferd besessen …!«
    »Na, dann wird es ja Zeit«, sprach der Fürst. »Und nun probiert Euer Geschenk aus. Sitzt auf.«
    »Ja, natürlich!«, schoss es jetzt aus ihm heraus, während er seine Laute zu Runa in den Wagen reichte und sich darauf dem Pferd zuwandte. Tief blickte er der Stute in die Augen. Dann fuhr er mit seiner Hand über ihren Stern und ihre Nüstern. Sie waren samtweich. Walther bildete sich sogar ein, niemals eine weichere Pferdenase gefühlt zu haben. »Wirf mich nicht ab, meine Schöne. Es ist lange her, dass ich auf dem Rücken eines Pferdes saß.« Dann nahm er die Zügel in die linke Hand und stieg erstaunlich geschickt in den Sattel, wo er die Lederriemen vorsichtig aufnahm. Die Stute begann leicht

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