Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
jetzt! Ein Räuspern gab den Anfang seiner kurzen Rede, dann verließ die Forderung, die seinen Gedanken einst entsprungen war, ohne ein Zögern oder ein Stocken seine Lippen. »Wir, der Rat der Stadt Hamburg, fordern heute, nachdem wir im Jahre des Herrn 1239 bereits ein Prüfungsrecht und im Jahre des Herrn 1255 ein Aufsichtsrecht erhalten haben, nun von den drei der fünf Landesherren Gerhard II., Adolf IV. und Heinrich I., eine alsbaldige Pacht der gräflichen Münze, sodass die Stadt mehr Einfluss auf die Prägung der Brakteaten, unseren silbernen Hohlpfennigen, nehmen kann.«
Die Gesichter der drei Söhne Gerhards I. entglitten geradezu. Es war sofort klar, was der Rat beabsichtigte: Nachdem schon der Zöllner, die Müller und ab heute auch der Vogt entmachtet worden waren, wollte sich der Rat auch noch des letzten der gräflichen Amtmänner in der Stadt entledigen, des Münzers. Doch so einfach würden sie es ihnen nicht machen.
Gerhard II., der wegen seines fehlenden Augenlichts den Beinahmen der Blinde trug, erhob sich ruckartig von seinem Sessel. Die Wut über die dreiste Forderung des Rates war seinem Gesicht abzulesen. Am liebsten hätte er diesen nimmersatten, blutsaugenden Hurensöhnen gesagt, was er von ihnen hielt, doch mehr denn je wurde ihm jetzt bewusst, wie abhängig er von ihnen war. Wenn es je zu einer Fehde zwischen ihm und seinem Vetter Johann II. kommen sollte – und er wartete nur noch auf einen Grund –, würde er die Münzen der Pfeffersäcke brauchen! »Ich habe verstanden, meine Herren, und gedenke noch eine Weile darüber nachzudenken. Und nun würde ich es vorziehen, die Hinrichtung beginnen zu lassen, bevor es womöglich dunkel wird. Es wäre zu schade, wenn der Mann, der mich um mein Geld ebenso wie um mein Vertrauen betrogen hat, auch nur einen Tag länger am Leben bliebe.« Dann ballte er wütend die Faust und sagte: »Auch wenn ich die Hinrichtung meines Feindes nicht mit meinen eigenen Augen werde sehen können, möchte ich mich dennoch an seinen Schmerzensschreien laben.«
Die Worte des Grafen klangen wie eine Drohung.
Noch einmal verlas der Vogt Thidericus von Heste die Stellen aus dem Ordeelbook, welche schlussendlich zum Urteil geführt hatten. »… Eneme mordere unde eneme kerkenbrekere scal men sine lede to stoten mit eneme rade, unde thar up setten …«
Obwohl die Umherstehenden das Urteil bereits kannten, löste es abermals hörbares Entsetzen in ihnen aus – war es doch eine der schlimmsten Strafen, die einen Verurteilten überhaupt ereilen konnte: Das Zerstoßen von Gliedern mit einem Wagenrad stellte schon eine unsagbare Quälerei dar, doch das anschließende Daraufflechten krönte jede bislang durchgestandene Marter. Der Schuldige konnte nur auf einen schnellen Tod hoffen, doch im Falle von Johannes vom Berge war selbst diese Hoffnung umsonst.
Die besten unter den Scharfrichtern kannten ihr Handwerk wohl, und da es sich heute um einen ehemaligen Ratsherrn handelte, war einer der Besten bestellt worden. Dieser Mann würde dafür sorgen, dass sein Opfer das Bewusstsein so lange wie möglich nicht verlor. Er war ein Mann, der stets eine Maske auf dem Kopf und ein scharfes Richtschwert an seinem Gürtel trug und den jedermann bloß unter seinem falschen Namen Vromold kannte. Still stand er auf der Richtfläche und wartete unbewegt. Fast so, als wäre er nicht aus Fleisch und Blut.
Walther und Runa drängten sich im letzten Moment durch die Menge, um zu Godeke, Oda, Ava, Ragnhild, Albert und Margareta zu gelangen, die schon seit einer ganzen Weile unweit des Richtplatzes darauf warteten, dass das grausige Schauspiel begann. Es hatte Walther einige Überzeugung gekostet, Runa bis hierher zu bekommen, denn noch am Morgen war sie sich sicher gewesen, dass sie der Hinrichtung auf keinen Fall beiwohnen wollte. Walther jedoch, der seiner Frau sonst ihren Willen ließ, war in dieser Sache stur geblieben und hatte sie beharrlich überredet. Schließlich hatte Johannes vom Berge ihr, genauso wie allen anderen von Holdenstedes, großes Leid zugefügt. Seit nunmehr über zwanzig Jahren hatten sie alle unter ihm und seinen Gehilfen gelitten. Heute sollte diese Zeit für immer ein Ende haben, und um damit abschließen zu können, sollte sie seinem Tod beiwohnen. Nach langem Reden hatte Runa schlussendlich nachgegeben.
»Da seid ihr ja endlich«, begrüßte Ragnhild ihre Tochter und Walther ohne die sonstige Heiterkeit. Sie, Albert und Eccard waren erst gestern in Hamburg
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