Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
endlich! Fast hättet Ihr den Start verpasst. Ich hoffe doch sehr, Ihr seid nicht so müde wie Ihr ausseht. Ihr werdet Eure Kräfte nämlich noch brauchen …« Während er sprach, erfasste sein Blick die Mähne von Walthers Pferd. Etwas ungläubig zog er die Augenbrauen hoch. »Was ist das denn?«
»Meine Tochter. Sie … bitte verzeiht!«
Der Graf schüttelte den Kopf, war aber sofort wieder mit seinen Gedanken bei der Jagd. »Wart Ihr schon einmal auf einer Sauhatz?«
»Noch nie, mein Fürst. Bitte entschuldigt, aber ich habe keine Ahnung, was ich zu tun habe.«
»Schon gut. Ich erwarte, dass Ihr stets in meiner Nähe seid. Ihr werdet mir mein fehlendes Auge ersetzen, und mir so hoffentlich zu einem prächtigen Keiler verhelfen.«
»Ich werde alles tun, was Ihr wünscht, mein Herr. Auch wenn meine Reitkünste ebenso spärlich sind wie meine Jagderfahrung.«
»Ja, ja, strengt Euch an. Ich hasse es, wenn mir eine Beute entwischt!«
Walther bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Der Blick des sonst so friedliebenden Fürsten hatte etwas ungewohnt Blutrünstiges, und seine Antwort verriet, dass er gar nicht richtig zugehört hatte. Aber das war nun nicht mehr zu ändern, und so ritt er hinter dem Grafen zur Spitze der Gefolgschaft, als mit einem Mal leises Gelächter aus den Reihen Gerhards II. ertönte. Zweifellos galt es den Zöpfen am Pferdehals seiner Stute. Mit hochrotem Kopf versuchte er, die Männer, deren Lachen immer lauter wurde, zu ignorieren.
Dann wurde auch schon das Zeichen gegeben. Aus beiden Lagern ertönte ein Horn, welches die Hunde augenblicklich verrücktspielen ließ. Aufgeregt bellten und jaulten sie und sprangen übereinander. Noch waren sie an etlichen Seilen festgebunden, doch gleich hinter dem Stadttor ließ man sie frei. Lärmend rannten sie los in Richtung des Waldes – die Nase stets auf dem Boden und trotzdem in einer irren Geschwindigkeit.
Dann wurde das nächste Zeichen laut. Die Männer schlugen ihren Pferden die Hacken in die Seiten, auf dass diese lospreschten wie vom Teufel persönlich gejagt. Der fliegende Galopp der Pferde glich schon bald dem Tempo einer panisch gewordenen Herde auf der Flucht. Seite an Seite versuchte ein jeder, seinen Vordermann zu überholen, um den begehrten Platz hinter dem Grafen zu erlangen. Selbst der beste Reiter im Gefolge hätte sein Tier jetzt nicht mehr stoppen können – und das wollte auch niemand!
Nebeneinander hasteten die Gefolge der Grafen mit ebendiesen an der Spitze in die dicht bewachsenen Wälder, wo die Bäume sie verschluckten, bis nur noch die zertretene Wiese davor auf die vielen Reiter hinwies.
Walther war einzig damit beschäftigt, sich auf seiner Stute zu halten. Sie war in Panik, rannte kopflos hinter dem Pferd des Grafen her, der mutig voranritt und immer schneller zu werden schien. Irgendwann sah Walther ein, dass er keine Wahl hatte, als sich dem Willen seines Pferdes zu beugen – so gab er auf, an seinen Zügeln zu zerren. Stattdessen presste er seine Knie fest an den Pferdeleib, schloss die Finger seiner Linken um die Lederriemen und krallte die der Rechten in die flatternde Mähne, deren Zöpfe sich langsam lösten. In dieser Haltung stob er hinter Johann II. her, wich niedrigen Ästen aus und übersprang sogar einen kleinen Baumstamm. Seine Stute schien über den Boden zu fliegen. So schnell war er noch nie in seinem Leben geritten. Schon längst hatte das Maul seines Pferdes angefangen zu schäumen. Es begann schwerer zu atmen, doch es verlangsamte nicht den Schritt. Immer weiter hetzten sie so durch den Wald, solange, bis Walther sich fragte, ob der Graf jemals anhalten würde.
Nach einer kleinen Ewigkeit, wurde das Pferd vor ihm ruhiger. Endlich! Dann fiel es in einen Trab und schließlich in einen gemächlichen Schritt.
Walther war schweißgebadet, ebenso seine Stute. Er rang nach Luft und hustete keuchend. Dann vernahm er die Stimme Johanns II.
»Ich bin beeindruckt, Spielmann. Ihr habt tatsächlich als Einziger meines Gefolges schritthalten können – das habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet!«
Walther drehte sich auf seinem Pferd um und sah nach hinten. Es war keiner da, nicht ein einziger Ritter. Atemlos ließ er verlauten: »Gern würde ich diesen Ruhm mir selbst zuschreiben, aber ich glaube eher, dass Eurem Geschenk das Lob gebührt.« Als er wieder zum Grafen schaute, sah er diesen zu seiner Überraschung breit lächeln. Er schien nicht im Geringsten verärgert darüber zu sein, dass seine
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