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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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ein und fuhr sich mit einer Hand über den Nacken. »Das ist nicht gut. Wann wollt Ihr dem Rat berichten? Er sollte es so schnell wie möglich erfahren.«
    »Ich dachte, Ihr könntet das für mich übernehmen.«
    »Natürlich«, zeigte sich der Ratsnotar einverstanden, für den diese Bitte nicht überraschend kam – schließlich war er ein Mitglied des Rates und ein Mitglied des Domkapitels zugleich, und wurde deshalb oft mit derlei Vermittlungen zwischen den beiden Mächten betraut. »Erlaubt Ihr, dass ich den Brief an mich nehme, Propst?«
    »Aber ja, nehmt ihn und gebt Euer Bestes! Wenn der Rat jetzt schnell handelt, gelingt es ihm vielleicht, einen Waffenstillstand zu erreichen oder gar eine Sühne in die Wege zu leiten und so einen Friedensschluss zu erlangen, bevor es im Land zu Wüstungen kommt. Brennt man jetzt im November die Dörfer nieder und vertreibt das Vieh, werden viele Menschen im eisigen Winter ster ben.«
    »Ich werde es versuchen, Dompropst. Helft mir, indem Ihr noch etwas verweilt und in der heiligen Bibel vor Euch lest und betet – das ist alles, was wir gerade tun können.«
    Obwohl es fast Winter war und der Holzhandel zu dieser Zeit im Jahr nahezu stillstand, war der Tag lang und anstrengend gewesen. Der Schnee hatte zugenommen, und Godeke war durchgefroren. Es war bereits seit einiger Zeit dunkel, als er sein Haus betrat. Die Diele wurde bloß durch ein kleines Talglicht auf einer Truhe erhellt, welches Oda ihm stets bereitstellte, wenn er im Dunkeln heimkehrte. Godeke klopfte sich die zarten Schneeflocken vom Mantel und zog ihn aus. Dann entledigte er sich seiner nassen Stiefel und legte alles zu Boden, wo es am Morgen seine Magd finden würde. Doch anstatt daraufhin hinaufzugehen, stand er für einen kurzen Moment einfach nur so da und horchte.
    Wie immer war es still hier – für seinen Geschmack manches Mal zu still! Als seine Familie noch in Hamburg gelebt hatte, waren sie ständig beisammen gewesen, und die kürzlich verlebten Tage, die Walther, Runa, Eccard, Margareta und seine Eltern bei ihm verbracht hatten, blieben bloß als süße Erinnerung daran. Denn nun waren Walther und Runa wieder auf den Kunzenhof gezogen. Sie hatten die schwangere Margareta mitgenommen. Eccard war mit Albert und Ragnhild zur Riepenburg geritten, die er bald darauf wieder verlassen würde, um nach Plön zu ziehen. So waren sie alle fortgegangen. Früher hatte es Godeke einige Male nach mehr Ruhe gedürstet, doch jetzt, wo er mit Oda und mit Agnes, der früheren Magd seiner Schwester, allein in dem Haus auf der Grimm-Insel wohnte, bedrückte ihn die Stille von Zeit zu Zeit. Vielleicht ging er deshalb so häufig hinüber zu Ava, wo Ehler und Veyt ständig für Aufregung sorgten.
    »Herr, verzeiht, ich habe Euch nicht kommen hören«, sagte Agnes und bückte sich sogleich nach dem Mantel und den Stiefeln ihres Herrn, die sie neben dem Feuer in der Küche auslegen wollte, um sie zu trocknen. »Begehrt Ihr etwas?«
    »Nein, hab Dank, Agnes. Du kannst dich zur Ruhe begeben. Wo ist meine Frau?«
    »In Eurer Kammer, Herr. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.«
    »Die wünsche ich dir ebenfalls.« Godeke nahm das Licht und schritt leise die Stiegen hinauf zu seiner und Odas Schlafkammer. Wenn sie sich tatsächlich schon hingelegt hatte, wollte er sie nicht wecken. Oben angekommen sah er, dass die Tür zu ihrer Kammer halb offenstand. Es brannte noch ein Licht. Odas Stimme drang heraus. Sie betete.
    »… Was ist der Grund dafür? Warum bestrafst du mich, Herr? Ich flehe dich an, lass mich meine Fehler erkennen, damit ich Buße tun kann und befreit bin von meiner Schuld, auf dass du mir meinen größten Wunsch erfüllen mögest. Ich werde tun, was du verlangst, doch bitte lass mich endlich erkennen, was …«
    Godeke hatte seine Frau eigentlich nicht unterbrechen wollen, doch das Gebälk unter seinen Füßen hatte plötzlich so laut geknarrt, dass Odas Kopf herumfuhr.
    »Du bist es«, sagte sie mit heller Stimme und erhob sich von ihren Knien. »Ich war so ins Gebet vertieft, dass ich dich gar nicht habe kommen hören.«
    »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sprach er und begrüßte sie mit einem leichten Kuss. Während er redete, stellte er das Talglicht ab und entledigte sich Stück für Stück seiner Kleidung. Wie immer am Abend berichtete er ihr ganz selbstverständlich von seinem Tag. »Erinnerst du dich an die reichen friesischen Holzhändler, die diesen Winter in der Stadt geblieben sind?«
    »Ja,

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