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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Dompropst treffen wollte. Mit langsamen Bewegungen trat er ein. Man konnte nie wissen, ob sich gerade ein eifriger Domherr hier aufhielt, der während seiner Studien nicht gestört werden wollte. Doch der Propst war allein.
    Gedankenversunken beugte er sich über ein Buch und fuhr die Zeilen mit dem Zeigefinger ab. Es war nicht irgendein Buch, das vor ihm lag – es war die überaus kostbare Berthold-Bibel, die vor sechsunddreißig Jahren vom damaligen Domdekan Berthold zu Ehren der heiligen Dompatronin Maria in Auftrag gegeben worden war.
    »Habe ich Euch warten lassen, Propst Albrecht?«
    Der Mann schaute ruckartig auf. »Ratsnotar, ich habe Euch gar nicht kommen hören. Nein, Ihr seid nicht zu spät, keine Sorge. Ehrlich gesagt genieße ich es gerade, ein paar Momente hier in der Stille der Bibliothek verbringen zu können. Wisst Ihr, was ich meine?«
    »O ja, das weiß ich. Die Stille und die Andacht, die man während des Gebets und dem Lesen der Bibel empfindet, ist oft heilsam.«
    »Wie recht Ihr habt! Und ich gestehe, dass das Lesen der Berthold-Bibel mir besondere Ruhe schenkt. Das Wort mag das gleiche sein wie in allen Bibeln, doch die kunstvollen Malereien verzaubern mich jedes Mal aufs Neue. Schaut Euch zum Beispiel diese Seite an. Es ist der Prolog des Johannes-Evangeliums. Der erste Buchstabe, das P, zeigt gleichzeitig Hieronymus, wie er an seinem Schreibpult arbeitet. Fast könnte man meinen, seine Feder auf dem Papier kratzen zu hören. Ich könnte diese Schriften und Bilder ewig betrachten. Wäre doch jeder Ort so friedlich wie diese Bibliothek.«
    »Euren Wunsch kann ich verstehen, Propst Albrecht. Gerade in Zeiten wie diesen, wo der Rat und das Domkapitel oft uneins sind und Frieden ein selten gewordenes Gut zu sein scheint.«
    »Wenn es doch nur der Rat und das Domkapitel wären, die in Uneinigkeit lebten – doch nun kommen auch noch die Schauenburger hinzu.«
    Johann ahnte bereits, dass diese Aussage nichts Gutes verhieß, als der Propst ihn bat, Platz zu nehmen.
    »Bitte, setzt Euch zu mir. Dann erkläre ich, warum ich Euch herbat.« Er holte ein Schreiben unter der schweren Berthold-Bibel hervor und entrollte es. Ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen, ließ er es vor sich liegen und sagte: »Das wurde mir gestern von meinem Bruder Graf Johann selbst in meine Räumlichkeiten auf dem Kunzenhof gebracht. Wahrscheinlich ahnt Ihr bereits, um was es geht.«
    »Ist es ein Fehdebrief?«
    »Ja.«
    Johann Schinkel schloss kurz die Augen.
    »Mit Euch kann ich offen reden, Ratsnotar. Ihr wisst ebenso wie ich, dass mein Bruder kein Freund von kriegerischen Auseinandersetzungen ist. Er scheut sie geradezu. Doch die Ereignisse der Sauhatz lassen ihm keine andere Wahl mehr, als nun öffentlich eine Fehde mit unserem Vetter Graf Gerhard II. anzuberaumen. Er muss es einfach tun, ansonsten erleidet er einen Gesichtsverlust. Die Schmähung, die er durch den Gefolgsmann von Gerhard II. erlitten hat, ist zu schwerwiegend.«
    Johann nickte. »Ich habe schon auf diese Nachricht gewartet, Propst«, gestand er schwermütig. Die Botschaft über das getötete Wildschwein hatte Hamburg schon erreicht, bevor die Grafen aus dem Wald geritten kamen. Bald darauf verbreiteten sich die schier unglaublichen Einzelheiten wie ein Strohfeuer, bis es in den Schenken und Badehäusern kein anderes Thema mehr gab. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind redete über den dreisten Klau der Saufeder durch Eccard Ribe vor der Nase des Grafen Johann II.. Am Abend auf dem Kunzenhof dann, war es zu so heftigen Streitigkeiten gekommen, dass einige Ritter der Grafen sogar die Schwerter gezückt hatten. Nur das Einschreiten des eilig herbeigeholten Bürgermeisters konnte Schlimmeres verhindern. Graf Gerhard II. reiste noch am selben Tag ab in Richtung Plön. Den zurückgebliebenen Hamburgern war klar gewesen, dass dieser Streich endgültig zum Bruch führen musste. Der Ratsnotar fragte: »Steht in dem Brief Eures Bruders Genaueres?«
    »Ja. Als Grund der Fehde wird die Ehrenkränkung genannt.«
    »Können wir Euren Bruder noch aufhalten.«
    »Nein. Er hat gewusst, dass ich das versuchen würde. Der Fehdebrief wurde schon vor vier Tagen nach Plön zu Gerhard II. geschickt – noch bevor mich dieser Brief überhaupt erreichte.« Sichtlich schwer fielen dem Propst die nächsten Worte. »Die notwendige Frist zwischen dem Erklären der Fehde und deren Beginn ist also schon abgelaufen. Die Fehde hat bereits begonnen.«
    Johann atmete tief und hörbar

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