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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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all den anderen Ingredienzen, die er für seine Illusionen benötigte, und nicht zuletzt mit seinem Zelt und seinem Kostüm.
    »Alles kommt auf die Fingerfertigkeit und das Wissen um die Natur an. Zauberei ist nichts als Illusion und hier und da eine kleine Explosion mit Rauch zur Ablenkung. Die Leute müssen getäuscht werden, und bei der Leichtgläubigkeit all der Tölpel, die ihren Fuß auf Exermon setzen, ist es keine Schwierigkeit, sich des Einzigen zu bemächtigen, das sie wertvoll macht, nämlich ihrer Münzen«, Thiam grinste bei diesen Worten selbstzufrieden und klopfte auf seinen Geldgürtel, der mit Gold und Silber gut gefüllt war.
    Thiam war raffsüchtig und entsprechend geizig. Aber wir hungerten nicht, und das war mehr, als mir das Anpflanzen von Bohnen und Kohl bringen würde, denn ein launischer Sommer genügte, ein Kleinkrieg der Landjunker, marodierende Söldner oder ein einziger Hagelsturm, und die Ernte war dahin, die Not groß.
    Ein alter Spielmann, Geschichtenerzähler und Messerschleifer, der immer wieder im Herbst zu den Erntedanktagen in unser Dorf kam, hatte die Sehnsucht nach der weiten Welt in mir geweckt. Neben Sagen und Märchen brachte er auch Nachrichten zu uns. Er erzählte von Städten, die in weiter Ferne lagen und mehr als tausend Menschen in ihren Mauern beherbergten. Der Alte berichtete von Bürgern, Kriegern, großen Taten und Torheiten von Baronen, Fürsten und Herzögen. Er schilderte Wunder, brachte Kunde von großen Schrecken und Seuchen.
    Seit ich denken konnte, freute ich mich auf die Tage der Ernte. Noch während wir die letzten Felder abernteten, die Bohnen pflückten und einlegten, die letzten Rüben in die Keller brachten, eines oder zwei der gemästeten Schweine schlachteten und zu Wurst, Räucher- und Trockenfleisch verarbeiteten, hielt ich Ausschau nach dem Alten, den man im Dorf auch den Grauen nannte (seinen wahren Namen habe ich nie erfahren), denn außer seiner Haut war alles an ihm grau. Er trug Schuhe aus grauem Wildleder, seine Kleidung und der wallende Kapuzenumhang waren grau. Sein volles, dichtes Haar war wie Silberfäden. Selbst seine Augen waren wie ein Nebelstreif, aber er war nicht blind.
    Und wenn seine Gestalt in der Ferne auftauchte, freute ich mich. Ich konnte, bis ich zu groß dafür wurde, immer auf seinem Schoß sitzen, und nur für mich erzählte er dann seine erste Geschichte.
    Später saß ich auf einem Schemel zu seinen Füßen und lauschte ihm. Mit jeder neuen Geschichte verstärkte sich die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt in mir.
    Tagsüber, wenn der Alte die Klingen der Sensen dengelte und die Messer, Beile und Äxte schärfte, egal woraus sie gefertigt waren, war ich, so oft ich konnte, bei ihm. Und wenn er fertig war, hielt seine Arbeit ein ganzes Jahr.
    Und immer, wenn er uns verließ, blickte ich ihm wehmütig nach. Bis er eines Tages gar nicht mehr kam. Vater meinte, er sei wohl gestorben.
    Ein anderer Mann erschien, aber der gab nur nüchtern die Geschehnisse und Ereignisse wieder, die er erlebt oder von denen er gehört hatte. Weder in seinem Wesen noch in seinem Äußeren konnte er es mit dem Grauen aufnehmen. Auch wusste er nichts von diesem zu erzählen. Ich würde wohl nie erfahren, was aus dem alten Geschichtenerzähler geworden war.
    Ich hatte immer gehofft, der Graue würde mich als seinen Lehrling mitnehmen, aber er machte Vater nie ein Angebot. Das tat erst Thiam, der eines Abends im letzten Winter auf unserem Hof erschien. Er machte auf mich einen verwirrten Eindruck, als erwache er eben aus einem Traum und wisse gar nicht, wo er war. Thiam blieb zunächst bei uns, und als er nach einigen Wochen und zwei Schneestürmen weiterzog, kaufte er mich von Vater und nahm mich in Dienst.
    Seither folgte ich ihm von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt, wo er seine Art von Magie gegen Bares zelebrierte. Was aus meinem Vorgänger geworden war, wusste ich nicht. Der Meister selbst mied das Thema. Er behauptete nur kurz angebunden, der Junge, den er Hildenbrand nannte (und der ein Adelsspross auf der Flucht gewesen sein soll), sei ihm davongelaufen.
    »Hast du mich verstanden, Dummkopf? Menschen sind nichts; sie kommen und gehen. Nur ihr Geld, die geschaffenen Werte und ihre Reichtümer bleiben und überdauern sie«, Thiam würde jetzt wieder eine Weile über Münzen philosophieren und den Gott oder den Unbekannten preisen, der sie der Welt einst schenkte. Nur das Hin und Her dieses geprägten Metalls hielt, Thiam zufolge, die

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