Das Vermächtnis des Rings
wir langsam gingen, verklangen die Hiebe seines Schwertes sehr schnell. Ich hatte das Gefühl, mich viel schneller zu bewegen, als ich glaubte. Als ich versuchte, meine Umgebung zu erkennen, sah ich nur verschwommene Bilder.
»Denk dir nichts dabei, schließ einfach die Augen«, sagte der Graue.
»Was tun wir jetzt?«, fragte ich und befolgte gleichzeitig den Rat des Grauen.
»Du hast eine Aufgabe zu erfüllen«, orakelte der Graue.
»Was für eine Aufgabe?«, fragte ich.
»Schau Bevin, manche von uns werden geboren, um Dinge zu tun, die kein anderer tun kann. Egal, ob sie scheitern oder erfolgreich sind, ihre Taten verändern das Schicksal aller. So jemand bist du.«
»Und wozu bin ich geboren?«, fragte ich. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich, ein zwölfjähriger Bauernsohn, der mit einem Scharlatan über die Dörfer gezogen war, sollte jemand Bedeutendes sein?
»Es kommt nicht darauf an, wo du geboren wurdest, sondern nur darauf, was in dir steckt…«
Der Alte hielt inne. Er blieb stehen, und ich öffnete die Augen.
Wir standen auf der Straße, gut hundert Schritt von den Überresten der Karawane entfernt.
»Was soll das? Gegen die Spinnenritter können wir nicht bestehen«, entfuhr es mir. Ich versuchte, mich von dem Grauen loszureißen, und blickte angsterfüllt zu ihm auf. Aber es war nicht der Graue, den ich sah, es war der Pferdeknecht.
»Ich dachte, du wärst klüger, Junge«, sagte der Pferdeknecht mit der Stimme des Grauen. »Hast du nicht gemerkt, dass ich nur meine Gestalt gewandelt habe. In all den Jahren habe ich immer wieder nach dir gesehen, habe über dich gewacht. Höre auf dein Herz, Bevin, dann siehst du, wer ich bin.« Eindringlich redete er auf mich ein. »Gehe in dich, und lausche deinem Herzen!«
Und ich lauschte in mich hinein. Ich sah den Grauen, den Pferdeknecht, ich sah ein scheues Kitz, das einmal mit mir gespielt hatte, ich sah einen großen Wolf in der Ferne, eine Eule, eine alte wandernde Kräuterfrau und viele hundert Gestalten mehr – und dahinter einen Mann. Er hatte eisgraues Haar wie der Geschichtenerzähler, aber seine Züge waren ungleich würdevoller, seine Augen waren von einem tiefem Blau, wie es nur die Farbe des Meeres sein konnte.
»Du bist der Agmar«, sagte ich. Und ich erinnerte mich an all die vielen Geschichten, die der Graue erzählt hatte, über den Agmar, der ein neues Volk gründete, das sich dem Kampf gegen die finsteren Mächte verschworen hatte.
»Ich bin der Agmar, der Erste der Sery’de von E’sch T’hut Wiyr. Beinahe tausend Jahre habe ich auf dich gewartet, damit du das Paar ergänzt.
Ich bin dein Hüter und dein Lehrer, und die Zeit der ersten Lektion fällt in die Zeit der ersten Prüfung. Denn etwas Unvorhergesehenes ist geschehen, wie so oft, wenn unterschiedliche Bestimmungen kollidieren.«
Ich hatte kaum die Hälfte von dem verstanden, was mir der Agmar zu sagen versuchte. Dennoch zerriss bei seinen Worten etwas in mir. Ich spürte etwas, doch war mir der Zugang dazu versperrt. Es war, als müsste ich in eine dunkle Höhle greifen und ertasten, was sich darin verbarg.
»Was muss ich tun?«, entfuhr es mir. Ich war entschlossen, mich allem zu stellen.
Der Agmar war mein Hüter, und er war immer in meiner Nähe gewesen.
»Nur du kannst den Zauber wirken, der die Spinnenritter erneut bannt, wenn auch nur für kurze Zeit. Es gibt nichts Endgültiges mehr. Exermon ist wieder zum Spielball der Mächte der Ebenen und der Mächte von Außen geworden. Und die Spinnenritter gehören zu diesem Spiel. Aber sie sind zu früh gekommen. Nur deine Macht, das habe ich erkannt, kann den Beginn des Kampfes verzögern.«
Die Spinnenritter hatten die meisten der Überlebenden zwischen zwei umgestürzten Fuhrwerken eingekesselt und bekämpften die sich verzweifelt Wehrenden nun mit äußerster Härte. Vielleicht mochte es im Wald noch diesen oder jenen Verlorenen geben, aber nur diese Wenigen hier konnte ich retten. Mir blieb nicht viel Zeit, wenn ich meine Lektion lernen und die Prüfung bestehen wollte.
»Wie?«, fragte ich. »Wie kann ich die Spinnenritter bannen?«
»Horche tief in dich hinein, lausche deinem Herzen, denn es ist rein. Das ist es – du bist das reine Herz. Höre auf dein Herz«, die Stimme des Grauen war fordernd und drängend. »Versuche nicht zu denken, tue, was dir in den Sinn kommt.«
Ich spürte die Aufregung des Agmar und wusste, dass dies ein entscheidender Moment war. Hier, an diesem Punkt, entschied sich nicht
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