Das Vermächtnis des Rings
nur mein Schicksal und das der überlebenden Kaufleute.
Ich sammelte mich. Ich lauschte mit meinem Geist tief in mich hinein, und es war, als tauche ich in einen unergründlichen See. Dann spürte ich etwas, rührte daran und erkannte, dass es das war, was ich suchte. Eine undefinierbare, mächtige Spannung baute sich in mir auf. Ich hielt ihr stand, so lange ich konnte, noch war es nicht an der Zeit, den Zauber freizulassen. Ich suchte nach mehr Kraft. Vor meinen Augen formte ich Bilder, Bilder, in denen die Ritter des Spinnentraums von einem Wirbel aus Licht aufgesaugt wurden. Dann Bilder einer Höhle, die angefüllt war von diesen Bestien (es mochten Tausende sein), die meisten von ihnen erwachten gerade. Der Wirbel aus Licht tauchte in dieser Höhle auf, und alle wurden erneut vom Schlaf übermannt. Aber ich spürte auch die Wahrheit in den Worten des Agmar. Meine Macht reichte nicht so weit, sie auf ewig einschlafen zu lassen.
Dann, als ich glaubte, platzen zu müssen, ließ ich den Zauber frei. Ich brach zusammen, und es wurde Nacht um mich.
»Wach auf«, drang Thiams Stimme an mein Ohr. »Undankbarer Bengel!«
Es dauerte eine Weile, bis ich wieder zur Besinnung kam. Ich öffnete die Augen und sah in Thiams triumphierendes Gesicht.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Während du hier vor Angst ohnmächtig zusammengebrochen bist, habe ich diese Unholde verjagt. Stell dir vor, Bevin, es gibt echte Magie, und ich bin ein echter Magier! Ich kann zaubern. Ich habe sie verjagt. Ich habe einen Wirbel aus Licht gerufen und sie verjagt.«
Ich musste ihn völlig verwirrt angesehen haben.
»Ich erzähle es dir später, Junge. Geh, such Merzad, und bring ihn her.«
»Das habe ich schon getan«, ertönte die Stimme des Pferdeknechts, dem Merzad tatsächlich bereitwillig folgte.
»Gut, ich gehe zu den überlebenden Kaufleuten und werde meine Belohnung aushandeln«, begann Thiam. »Du, Bevin, schaust nach, ob nichts von meinem Habe fehlt.« Damit meinte Thiam auch, dass er glaubte, der Pferdeknecht Kerlon könne die Situation ausgenutzt und sich bedient haben. Es war ein unverschämter Gedanke, aber ich hatte gelernt, Thiam nicht zu widersprechen.
Thiam rieb sich die Hände, und ich glaube, er hörte bereits den Klang goldener Münzen. Derlei Aussichten ließen ihn die schrecklichen Erlebnisse schnell vergessen. Nur sein Triumph zählte.
»Mache ich, Meister«, sagte ich zu Thiam, aber er schien mich längst nicht mehr zu hören.
Der Meister eilte davon. Kerlon (oder besser der Agmar) trat an mich heran.
»Das war der mächtigste Zauber, den du alleine wirken konntest. Nie wieder wirst du alleine so mächtig sein. Doch solltest du die in dir ruhende Macht, dein Potenzial als Zauberer erkunden. Versuche, die Natur der Magie zu verstehen. Dann wirst du im Kampf bestehen und dein Leben meistern.«
»Ja«, sagte ich gehorsam. Ich wusste, es war nicht an der Zeit, mehr über meine Bestimmung zu erfahren. Doch die wichtigste Lektion war mir bereits zuteil geworden: Ich wusste nun, dass es tatsächlich echte Magie gab – und dass sie in mir schlummerte. Nun musste ich lernen, sie zu nutzen.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, fuhr Kerlon fort: »Und halte dein Herz rein, dies wird deine schwerste Prüfung sein, viel schwerer als der Kampf gegen die Ritter des Spinnentraums.«
»Wie soll ich das machen?«, fragte ich.
Der Agmar sah mich ernst an. »Wenn dich Gier, Neid, Missgunst und Hass nicht zu überwinden vermögen, wenn kleine Lügen und Schwindeleien an deinem Gewissen rühren, wenn du anderen stets hilfreich zur Seite stehst und dich der Hochmut nicht übermannt, dann sollte es dir gelingen.«
»Das ist schwer«, sagte ich.
»Ja«, sagte der Agmar nur.
Wir schwiegen einen kurzen Moment. Ich würde mein Bestes geben, und ich würde es schaffen, so schwer es auch sein mochte!
»Komm, dieses Abenteuer ist vorüber, die Spinnenritter sind erst einmal gebannt, und du hast noch viel Zeit. Wir werden jetzt wieder in unsere Rollen schlüpfen. Folge Thiam noch eine Weile. Und hilf ihm beim Zaubern«, fügte Kerlon schmunzelnd hinzu. »Es wird eine gute Übung für dich sein. Wer weiß, zu welchen Dummheiten dein Meister sonst noch fähig ist.«
Ich sah ihn an und nickte nur. Dann erwiderte ich sein Lächeln.
Er legte mir den Arm um die Schulter, und gemeinsam gingen wir auf die Reste des einst so stolzen Zuges der Kaufleute zu.
»Komm, wir haben eine Karawane nach Asathir zu bringen!«
R ALPH S
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