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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Ungewöhnliches bemerken.
    »Kommen Sie«, sagte Holm leise. »Und keinen Laut!«
    Raskells Hand tastete instinktiv nach dem Gewehr, aber Holm schüttelte den Kopf, und Raskells Finger sanken gehorsam herab. Holm hatte ihm ein Wild besonderer Art versprochen, aber er hatte auch keinen Zweifel daran gelassen, dass Raskell sich streng nach dem zu richten hatte, was er befahl. Und Raskell gedachte nicht, zehntausend Dollar auszugeben und sich dann alles durch eigene Starrköpfigkeit und Ungeduld zu verderben. Von diesen Typen gab es genug im Kino und in zweitklassigen Romanen. Holm würde wissen, wann es so weit war.
    Sie schlichen nebeneinander durch das Unterholz. Der Wald wurde wieder gangbar, und nach einer Weile erreichten sie erneut eine Art Lichtung, obwohl der Himmel noch immer hinter einem dichten Blättervorhang verborgen blieb; einen großen, runden Fleck, auf dem zwar Bäume, aber kein Unterholz oder Gebüsch wuchs und der Raskell an einen gewaltigen natürlichen Dom erinnerte, ein spitzes Kuppeldach aus grünem Laub, das von gewaltigen natürlichen Stützpfeilern getragen wurde.
    Holm deutete stumm auf die kleine Gestalt, die im Zentrum einer gelben Halbkugel aus flackernder Helligkeit an einem Lagerfeuer saß, und Raskell blieb verwundert stehen.
    Die Gestalt war – gelinde ausgedrückt – seltsam. Im ersten Moment glaubte er, ein Kind vor sich zu haben, aber er erkannte schnell, dass das nicht stimmte. Es ist schwer, die Größe eines sitzenden Menschen zu schätzen, aber Raskell glaubte nicht, dass der Mann ihm im Stehen weiter als bis zur Brust reichen würde. Aber er war kein Kind, auch wenn er ihnen den Rücken zuwandte und sie sein Gesicht nicht erkennen konnten. Und er war kein Liliputaner. Seine Haltung war nicht die eines Kindes, und seine Proportionen nicht die eines Zwergwüchsigen. Er hockte mit untergeschlagenen Beinen vor dem Feuer und zog ab und zu an der Pfeife, die er in der rechten Hand hielt. Auf dem Kopf trug er einen hohen, spitz zulaufenden Hut mit übermäßig breiter Krempe, die traurig herunterhing und an den Rändern abgefressen und zernagt wirkte, und von seinen Schultern hing ein weiter, lose fallender Mantel von undefinierbarer Farbe. Es waren Kleider, dachte Raskell erstaunt, wie sie die Zauberer und Magier in Kinderbüchern zu tragen pflegten.
    Holm hob rasch die Hand und bedeutete ihm, still zu sein. Sekundenlang standen sie reglos im Unterholz, stumm und scheinbar mit den Schatten des Waldes verschmolzen.
    »Tretet doch näher, meine Herren«, sagte der Mann plötzlich, ohne sich umzudrehen. »Kommt ans Feuer. Die Nacht ist kalt.«
    Raskell tauschte einen verwunderten Blick mit Holm, räusperte sich verlegen und trat dann zögernd auf die Lichtung hinaus. Holm folgte ihm, schweigsam wie immer, aber von fühlbarer Spannung erfüllt. Sie gingen langsam auf das Feuer zu, und wieder glitt Raskeils Hand zum Gewehr und verharrte mitten in der Bewegung, denn obwohl die gebückte Gestalt vor ihnen alles andere als normal wirkte, fühlte er irgendwie, dass nichts Bedrohliches an ihr war.
    »Setzt euch, Ihr Herren«, sagte der Mann mit einer einladenden Bewegung. »Die Nächte sind lang und einsam geworden, und man trifft nur noch selten einen Menschen in den Wäldern. Ich hoffe, Ihr habt Zeit für ein kleines Schwätzchen.«
    Raskell ließ sich zögernd neben dem Feuer nieder. Die Flammen brannten nicht hoch, aber sie waren von einer seltsam kräftigen gelben Farbe, und obwohl das Feuer nicht sehr intensiv brannte, vertrieb es doch die klamme Feuchtigkeit und die Kühle des hereinbrechenden Abends. Er schnallte seinen Rucksack ab, legte Gewehr und Gepäck rechts und links von sich ins Gras und musterte ihren seltsamen Gastgeber mit unverhohlener Neugierde. Seine übrigen Kleider passten genau zu Hut und Umhang – ein ledernes, mit Schnüren zusammengehaltenes Wams über einer weißen Bluse, knielange Hosen mit zahllosen Taschen und offene Sandalen, eigentlich nur Sohlen mit dünnen Schnüren, die an seinen Waden hinauf bis dicht unter die Knie gebunden waren. Bei jedem anderen hätte die Aufmachung lächerlich gewirkt, aber als er ins Gesicht des Mannes sah und dem Blick seiner grauen, weisen Augen begegnete, wusste er plötzlich, dass es in Wirklichkeit genau andersherum war und dass sie, in ihren maßgeschneiderten Safari-Anzügen und Zweihundertdollar-Wanderschuhen, lächerlich wirkten.
    Der Fremde hielt seinem Blick gelassen stand und lächelte sogar ein wenig, wenn seine

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