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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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nächsten Geburtstag werde ich … fünfhundertsieben Jahre. Das ist doch alt genug, oder?«
    Mir blieb der Mund offen stehen. Egil öffnete die Beifahrertür – sie quietschte wie ein Sargdeckel – und drängte mich einzusteigen. Ich gehorchte und Egil steckte den Schlüssel in die Zündung.
    »So, jetzt wollen wir aber mal ordentlich aufdrehen«, sagte Egil, und noch bevor der Motor in Gang kam, hörte ich dieses aufgeregte Rasseln in seiner Kehle – wie ich es von Shipley kannte, wenn er etwas im Schilde führte. Am Ende war dann immer etwas verschüttet, umgekippt oder kaputt.

    Ich weiß nicht, ob Egil das Auto mit magischen Kräften auf Touren brachte oder ob es ganz einfach der letzte glorreiche Tag eines uralten Autos war. Wir fuhren mit hundert Stundenkilometern durch die nassen, leeren Straßen Londons, trotzdem strich sich Egil fortwährend das Haar zurück, schnurrte oder kratzte sich hin und wieder mit der hochgezogenen Schulter am Ohr.
    Ich war es nicht gewöhnt, in einem Auto zu sitzen. Natürlich war ich schon mit dem Klosterbus gefahren, aber der Busfahrer hielt sich an ein angemessenes Tempo, beachtete die Verkehrszeichen und konnte Rot, Grün und Gelb unterscheiden. Egil kümmerte sich nicht um Farben. Ich meinte, ich hätte irgendwo gelesen, Katzen seien farbenblind. Egil, der Mensch, war allerdings verrückt und farbenblind. Es interessierte ihn auch nicht, dass noch andere Autos unterwegs waren. Wenn er ein Hindernis sah, drückte er einfach auf die Hupe, und wenn jemand wagte, genauso zu reagieren, leckte er sich ungeduldig über die Lippen oder fauchte.
    Als wir am Fleischmarkt in Smithfield vorbeifuhren, sah Egil eine Ratte über die Straße laufen und raste instinktiv hinterher. Das Auto krachte in eine Reihe Plastikmülltonnen, schrammte haarscharf an einem Laternenmast vorbei und holperte schließlich über Kopfsteinpflaster in eine dunkle Seitengasse hinein. Sie wurde immer schmaler und vor einer Art Kneipe kamen wir abrupt zum Stehen. Eine Frau und ein Mann standen vor dem Eingang; sie hatten sich gerade geküsst und drehten sich nun überrascht nach uns um.
    »Sorry«, sagte Egil zu sich und mir, während er den Rückwärtsgang einlegte und wieder Richtung Hauptstraße steuerte. »War ein bisschen meine Schuld. Aber schau sie dir doch an, diese Kreaturen! Mit welcher Arroganz die hier überall rumrennen! Na ja, nichts passiert.« Und weiter ging die Fahrt.
    Nachdem wir den bebauten Teil Londons verlassen hatten, fuhren wir auf dunklen, schmalen Straßen durch die Flickenteppichlandschaft, wo nichts den Blick auf Mond und Sterne trübte. Ich war inzwischen dahintergekommen, wie die mechanische Fensterkurbel funktionierte, und drehte die Scheibe herunter. Erst als ich den Luftschwall hart in meinem Gesicht spürte, wurde mir klar, wie schnell wir fuhren. Die Hecken rechts und links flogen verschwommen vorüber, der Wind nahm mir fast den Atem. Ich konnte den satten Geruch von gepflügten Feldern riechen, von feuchtem Gras und stehendem Wasser in Gräben. Durch meinen ungewöhnlich gut ausgeprägten Geruchssinn wurde jeder Atemzug zu einem berauschenden Erlebnis für mich.
    Egil leckte immer wieder mal über das Lenkrad, während er durch die Windschutzscheibe auf die kurvenreiche Landstraße blickte. Mit Scheinwerfern gab er sich erst gar nicht ab. Er erklärte, da er so lange Zeit eine Katze war, sei bei ihm die Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, noch gut erhalten.
    Der Pelzmantel und die Hose, die ich geschenkt bekommen hatte, waren mehr als warm: Sie saßen wie eine zweite Haut, und ich hatte das Gefühl, sie seien irgendwie lebendig. Allmählich fiel mir das Wachbleiben schwer. Ich versuchte angestrengt, die Augen offen zu halten, während Egil durch die dunklen Felder Englands fuhr, aber in der wärmenden Fürsorglichkeit des Pelzes fielen sie mir doch irgendwann zu.
    Ich kuschelte den Kopf in den Pelzkragen, als wäre er ein Kissen, und nahm unbewusst die gleiche Stellung ein, in der ich zwölf Jahre lang ausgeharrt hatte: Arme gekrümmt wie ein Reiherhals, Beine leicht verdreht, Kopf nach links geneigt.
    Irgendwann schwemmte das monotone Brummen des Motors meine Gedanken fort.

    Ich wachte auf, weil Egil mir auf die gleiche Art die Hand an den Hals legte, wie er es zu Beginn in meinem Zimmer getan hatte. Wieder spürte ich dieses Prickeln wie von einem Eiszapfen in meiner Wirbelsäule, und dann wurde ich jäh nach vorn geschleudert.
    »Wir sind am Hafen«, sagte Egil. »Der

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