Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
ließ der Oberste Maharl kurzerhand wissen. »Bereite die Krieger vor. Wir reiten heute noch los.«
»Jawohl, Auserwählter«, antwortete Ramiff – erleichtert,
dass die Wut seines Herrn an ihm vorübergezogen war. Er verbeugte sich noch einmal tief und verließ das große Zelt, das dem Obersten Maharl als Unterkunft diente. Ramiff überlegte, wie sein Herr wohl reagiert hätte, wenn ihm die ganze Botschaft des Anführers der Manticlaar zu Ohren gekommen wäre. Beschimpfungen wie »weißhäutiger Ungläubiger« hätten dem Obersten Maharl sicher nicht gefallen, und Ramiff bezweifelte, dass der Auserwählte dem Überbringer dieser Worte einen raschen Tod gewährt hätte.
Demarr hockte mit gekreuzten Beinen auf einem edlen Seidenkissen, das wiederum auf einem erhobenen Podest lag, damit er auch im Sitzen auf seine Diener hinabsehen konnte. Mit versteinerter Miene verfolgte er, wie Ramiff sich zurückzog. »Ein guter Mann«, dachte er, als sein persönlicher Berater durch den Ausgang verschwand. »In früheren Zeiten hätten wir vielleicht sogar Freunde sein können.«
Wenn er so zurückblickte, konnte er kaum glauben, dass er einmal gehofft hatte, er könne Thrandor erobern, indem er seine Anhänger durch Freundschaft und Vertrauen für seine Sache zu gewinnen suchte. Der einzige Weg zur Macht war die Führung mit eiserner Hand: Er musste alle bestrafen, die versagten, und alle töten, die sich ihm widersetzten. In seiner Naivität und Unbedarftheit hatte er einst Anspruch auf den Thron Thrandors erhoben, um die seiner Ansicht nach unrechtmäßige Herrschaft des Königs zu beenden. Jetzt aber sah er klar. Macht war das einzige wahre Ziel – Macht, und zu einem kleineren Teil womöglich auch Rache.
Unvorstellbar, dass er während der ersten sechs Monate seiner Verbannung am nördlichen Rand der Einöde umhergeschlichen war. Er hatte nicht gewagt, sich zu weit vom Terachim-Gebirge zu entfernen, weil er Angst gehabt hatte,
sonst kein Wasser zu finden. Er hatte nur wenig zu essen entdecken können, und sein einziger Wunsch war es gewesen, einen Ort mit ausreichend Wasser und Nahrung zu finden, an dem er halbwegs überleben könnte. Aber all das hatte sich schlagartig geändert, als er dem Feuerdrachen begegnet war.
Ab dem Augenblick, da er sich den Talisman um den Hals gehängt hatte, hatte er gewusst, dass sein Weg in die unerforschten Weiten der Einöde führte. Sein Instinkt hatte ihn von einer Wasserquelle zur anderen geführt und er war immer tiefer in unbekanntes Gebiet vorgestoßen. Kleine Lebewesen liefen wie bestellt über den Weg und er musste sie nur schlachten und verzehren. Die gewaltige Hitze bei Tage und die kalten Wüstennächte konnten ihm nichts mehr anhaben. Alle bohrenden Zweifel und Schuldgefühle waren vergessen. Es blieb ein kalter, berechnender und selbstbewusster Panzer, in dessen Innern die Wut gegen jene brannte, die sein Drängen nach Macht vereitelt hatten.
»Nächstes Mal, nächstes Mal, nächstes Mal«, klang es Tag für Tag in Demarrs Ohren, und sein Machthunger und seine Rachedurst wurden immer größer.
»Es ist so weit«, flüsterte Demarr vor sich hin. Seine Augen glühten mit kaltem Glanz. »Das Warten ist vorüber, es kann losgehen.«
Der Oberste Maharl stand auf und strich seine reinweiße Thobe glatt. Während die Terachiten das lange Gewand ohne Gürtel trugen, fand Demarr, der schließlich kein geborener Terachit war, es bequemer, die Thobe an der Hüfte mit einem schmalen Lederband zu schürzen. Um seinen Hals hing ständig der silberne Talisman, den er ausnahmslos über der Kleidung und genau mittig auf der Brust trug. Oftmals, wenn er in Gedanken vertieft war, griffen seine
Finger nach dem Anhänger und rieben leicht über die seltsamen, nicht zu entziffernden Symbole auf beiden Seiten.
Die Macht des Talismans war Demarr erst bei seinem ersten Aufeinandertreffen mit den Terachiten vollständig offenbart worden. Als er eines Morgens auf ihr Lager mitten in der Wüste Terachim zuschritt, schreckte Demarr ihre von der langen Nachtwache erschöpften Wachen auf. Es war noch nie vorgekommen, dass ein Hellhäutiger so weit ab von seiner hoch geschätzten »Zivilisation« überlebt hatte, doch noch unglaublicher schien es, dass er anscheinend gesund und offenbar unbeeindruckt von den Waffen war, die ihm die Wachen sofort entgegenstreckten.
»Bleib, wo du bist, Ungläubiger«, rief ein unglückseliger Wachposten Demarr zu, als dieser den Rand des Lagers erreichte.
»Es ist
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