Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
ordentlichen Zahn zu. Calvyn sammelte seine letzten Kräfte, sog heftig Luft in seine Lungen und beschleunigte, um sich gleich hinter die Schulter des anderen Rekruten zu hängen. Dann drangen Derras krächzende Rufe zu ihm, er vergaß alle Gedanken an den Rhythmus und zwang sich zu einem Sprint. Seine Lungen brannten, seine Muskeln protestierten, Calvyn überholte seinen erlahmenden Gegner und gewann einen Vorsprung. Nach einem Blick über die Schulter ließ Calvyn auf den letzten Metern zum Tor nach – in der Gewissheit, dass der andere ein für alle Mal geschlagen war. Doch dann strich Jennas hochgewachsene Gestalt aus dem Nichts an ihm vorbei und erreichte knapp vor ihm das Ziel. Calvyn ärgerte sich, dass er langsamer geworden war, aber noch mehr Verdruss bereitete ihm, dass er nicht bemerkt hatte, dass ihm jemand auf den Fersen gewesen war. Als er gebückt und nach Atem ringend dastand, hob er den Kopf und sah Jenna einige Schritte neben ihm ebenfalls tief Luft holen. Er war unfähig zu sprechen, versuchte daher den Anflug eines Lächelns und hob den Zeigefinger, als wolle er sie ermahnen.
Jenna erwiderte das Lächeln.
»Legt die Hände in die Hüften und geht langsam zum Tor, bis alle wieder hier sind«, befahl Derra und fing gleich wieder an, die nächsten Rekruten aus Trupp zwei anzubrüllen, die auf der Zielgeraden auftauchten.
Calvyn stemmte die Hände in die Seiten und spürte, wie sich die Muskeln über seiner wogenden Brust und dem Bauch verkrampften. Als er seine Atmung schließlich in einen weniger verzweifelten Takt gebracht hatte, merkte er, wie das langsame Gehen die Erholung seines Körpers beförderte.
Schweiß rann ihm in Rinnsalen die Augenbrauen entlang und an den Wangen herunter. Auch an seiner Nasenspitze hingen Schweißtropfen, und er musste die Unterlippe vorschieben, um sie wegzublasen.
»Du scheinst irgendwo Leck geschlagen zu haben«, stichelte Jennas leise Stimme. Sie lief jetzt neben ihm und sah aus, als habe sie einen netten Spaziergang hinter sich.
»Ja, während ich gerannt bin, ging es mir richtig gut, aber jetzt ist mir doch ein wenig heiß«, antwortete Calvyn und zog einen Ärmel herunter, mit dem er sich die tropfende Stirn abwischte.
»So hörst du dich also an, wenn es dir gut geht, ja? Dann möchte ich nicht wissen, wie es klingt, wenn du dich schlecht fühlst! Du hast derart geschnauft, dass ich dachte, du würdest im nächsten Augenblick explodieren!«, meinte Jenna lachend.
Auch Calvyn lachte und schüttelte leicht den Kopf, während er in seinen Gehirnwindungen nach einer schlagfertigen Antwort suchte.
»So kann ich wenigstens erklären, warum ich nicht gehört habe, wie du dich an mich herangeschlichen hast.«
»Von anschleichen kann wohl kaum die Rede sein, mit diesen Dingern an den Füßen.« Sie zeigte auf ihre dicken braunen Lederstiefel.
»Also gut, du hast gewonnen.«
»Natürlich! Was hast du denn gedacht?«
Calvyn zuckte die Achseln und grinste. Er wusste nicht,
wie er die Unterhaltung fortführen sollte. Als er zu Jenna blickte, merkte er, dass sie schon wieder erholt war und ganz normal atmete. Offensichtlich hatte Jenna sich bei dem Rennen nicht sehr verausgabt. Er wollte sie auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen, aber es interessierte ihn schon, warum Jenna sich zurückgehalten hatte, wenn sie doch eine bessere Leistung bringen konnte. Calvyn fragte sie deshalb im Flüsterton, warum sie nicht bei den vordersten Läufern geblieben war.
»Einer der wenigen Vorteile, ein Mädchen zu sein, besteht darin, dass die einfachen Soldaten und Korporale, die nichts mit der Ausbildung zu tun haben, sich nur zu gern mit einem unterhalten. Natürlich hat auch das viele Nachteile. Aber ich habe auf diese Weise erfahren, dass es Derra besonderes Vergnügen bereitet, ihre Rekruten mit diesen Rennen zu quälen. Diesen Rennen, nicht einem Rennen.«
»Du meinst, wir müssen da jetzt noch mal durch?«, keuchte Calvyn entsetzt.
»Pssst. Ja. Und wahrscheinlich noch mehr als einmal, wenn man mich richtig informiert hat«, bestätigte Jenna.
Calvyn stöhnte leise.
»Ich hab mir schon gedacht, dass ich beim ersten Rennen nicht die Schnellste aus unserem Trupp sein würde. Also habe ich beschlossen, meine Kräfte einzuteilen und so auch im zweiten oder dritten Rennen zu bestehen. Derra hat es vor allem auf die Besten und die Schlechtesten abgesehen. Wenn man unauffällig bleibt und ihre Aufmerksamkeit möglichst nicht auf sich zieht, sollte man hier ohne allzu
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