Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
aber nur die wenigsten hatten noch die Kraft, sie zu ihrem Vorteil zu nutzen.
»Halt! Trupp zwei, beim Tarmin, reißt euch zusammen! Was seid ihr? Eine Schneckenbrut? Aber das wäre eine Beleidigung für die armen Tierchen. Ich habe Schnecken gesehen, die sich erheblich schneller bewegten. Setzt euch, ich habe euch etwas zu sagen …«
Trupp zwei ließ sich in eine annähernd geordnete Sitzreihe fallen, und Derra bereitete sich auf eine ihrer äußerst
ermunternden Brüllattacken vor. Ihre als Ansporn gedachten Reden waren mit lebhaften Vergleichen und Erläuterungen gespickt, deren Offenheit den Rekruten oftmals die Sprache verschlug. Die Korporalin ließ keinen Hieb aus, und kein Rekrut wurde jemals im Zweifel darüber gelassen, auf welchen Gebieten er sich noch verbessern musste.
Bevor Derra ihren Angriff starten konnte, tauchten jedoch zwei andere, den Rekruten unbekannte Korporale hinter der Waffenkammer auf und marschierten zielstrebig auf sie zu. Die Korporalin blieb stehen und wartete, bis sie sich näherten.
»Ja?«, fragte sie, verärgert über die Störung. Dabei musterte sie die glänzenden blauschwarzen Uniformen ihrer Kollegen, als würde sie eine Militärparade abschreiten. »Was ist denn so wichtig, dass es nicht bis zum Ende des Trainings warten kann?«
»Wir sind hier, um zwei Euer Rekruten unter Arrest zu nehmen, auf Befehl von Hauptmann Tegrani«, erwiderte der ältere der beiden Korporale mit ernster Miene. »Die Rekruten Calvyn und Bek gehören doch Eurem Trupp an, oder?«
Einer der Rekruten sog scharf die Luft ein, die anderen schwiegen erschrocken und wandten die Köpfe überrascht in Calvyns und Beks Richtung. Derra musterte die Korporale verächtlich. Doch die beiden schreckten vor ihrem eisigen Blick nicht zurück, sondern warteten stumm auf eine Antwort. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ sich Derra zu einem Nicken herab und bedeutete Calvyn und Bek vorzutreten.
Calvyns Herz pochte heftig, als er aufstand und zügig vor den Trupp trat. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass Bek so bleich war wie die weiß getünchten Mauern der Stallgebäude hinter ihm. Die beiden Rekruten standen
nebeneinander stramm, den Blick auf ihre stirnrunzelnde Korporalin gerichtet.
»Wisst ihr, worum es hier geht?«, knurrte sie mit rauer Stimme.
»Nein, Korporalin«, antworteten die beiden nacheinander.
»Würdet ihr mir vielleicht verraten, was meinen Rekruten vorgeworfen wird? Sie scheinen genauso wenig darüber Bescheid zu wissen wie ich«, wandte sich Derra an die beiden wartenden Korporale.
»Sie sind angeklagt, persönliche Dinge aus dem Besitz von Hauptmann Tegrani gestohlen zu haben, und werden vor das Militärgericht gestellt.«
Mehrere Rekruten schnappten nach Luft, doch Derra, immer noch mit tiefen Falten auf der Stirn, sah zuerst die Korporale und dann die entsetzten Jungen an, deren Mienen ihre Fassungslosigkeit angesichts der vorgebrachten Beschuldigungen spiegelten. Derras Züge entspannten sich ein wenig, als sie Calvyn und Bek anwies, mit den beiden Korporalen zu gehen.
»Ich werde gleich mit euch reden«, sagte die Ausbilderin in dem freundlichsten Ton, den Calvyn bisher von ihr gehört hatte. Als sie ihren beiden Rekruten in die Augen schaute, erkannte Derra, dass sie für die Tat nicht verantwortlich waren, und sie beschloss, alles zu tun, um ihnen zu helfen. »Geht jetzt. Aber ihr beantwortet keine Fragen, bis ich da bin. Verstanden?«
»Jawohl, Korporalin«, erwiderte Calvyn knapp. Bek und er marschierten zu den Abgesandten von Hauptmann Tegrani und standen vor ihnen stramm.
»Und was euch betrifft, meine Herren«, wandte sich Derra an ihre ranggleichen Kollegen. »Bitte sorgt dafür, dass erst in meiner Anwesenheit mit den Befragungen begonnen wird, sonst mach ich euch die Hölle heiß, klar?«
»So klar wie ein Bach im Vortaff-Gebirge«, erwiderte der ältere der beiden Korporale mit einem zustimmenden Nicken. »Wir bringen sie vorerst in Drens Dienststube und warten dort auf Euch.«
Flankiert von den beiden finster dreinblickenden Unteroffizieren marschierten Calvyn und Bek über den Exerzierplatz und bemühten sich, Ruhe zu bewahren. Calvyn dachte während der kurzen Wegstrecke darüber nach, wie oft er sich überhaupt in der Nähe der Offiziersunterkünfte aufgehalten hatte. Höchstens einmal während des Wachdienstes, fiel ihm ein, aber er war nie mit Bek zusammen eingeteilt gewesen und konnte sich deshalb nicht erklären, warum man sie
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