Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
immer gern sein eigenes Süppchen gekocht und war vermutlich ebenso bereit, den falschen Kaiser zu verraten wie den richtigen.
Ehe Femke jedoch etwas unternehmen konnte, musste sie sich zunächst vergewissern, dass der Kaiser wirklich Lord Vallaine war.
Calvyn drehte sich der Magen um. Es bestand überhaupt kein Zweifel: Auf dem Wandbehang war er zu sehen, im Kampf mit Selkor, an einem Ort, den Arred und Perdimonn als den Thron der Götter bezeichnet hatten. Wenn Perdimonn
Selkor bereits gefürchtet hatte, bevor dieser die Machtschlüssel an sich gerissen hatte, von Darkweavers Amulett ganz zu schweigen – wie sehr musste Calvyn ihn da erst fürchten?
Es war verrückt: Warum war nicht Großmagier Akhdar abgebildet oder Jabal? Warum musste es Calvyn sein, der sich noch in der Ausbildung befand und keine Erfahrung mit magischen Zweikämpfen hatte? Der Kampf mit Demarr zählte in Calvyns Augen nicht, denn sein Schwert hatte die magischen Angriffe des Amuletts selbstständig abgewehrt. Die einzige Formel, die er angewandt hatte, war der magische Schutzschild gewesen und der war beim ersten Angriff durch Darkweavers Amulett zusammengebrochen.
Von dem Moment an, da sie wussten, dass Calvyn gegen Selkor antreten würde, behandelten ihn die Magier höchst unterschiedlich. Die Meister gaben sich zunächst recht kühl. Sie fragten sich wohl alle, warum es nicht einer von ihnen war, der gegen Selkor antreten sollte. Waren sie etwa zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Leben, wenn es endlich zum Kampf kam? Welche andere Erklärung konnte es geben? Doch als sie den ersten Schreck überwunden hatten, bestanden alle drei Großmeister darauf, Calvyn vor dem Kampf noch möglichst viel beizubringen, damit er gut gerüstet sei.
Rikath, Morrel und Arred beäugten Calvyn voller Argwohn, als sei er ein gefährliches Tier, das ohne Vorwarnung auf sie losgehen könne. Der König und der Baron wiederum benahmen sich wie stolze Eltern, deren Sohn soeben etwas Großartiges geleistet hat. Calvyn hoffte inständig, ihr Vertrauen darauf, dass er auch die aussichtsloseste Situation zum Guten wenden könne, möge gerechtfertigt sein, denn er fühlte sich alles andere als gut gewappnet für den anstehenden Kampf.
Am stärksten belastete die neue Lage aber sein Verhältnis zu Jenna. Sie hatte ihn mit ihrem trockenen Humor immer aufgeheitert, ihn aufgerichtet, wenn er niedergeschlagen war. Doch nun war sie selbst still und in sich gekehrt. Es war nicht so, dass sie sich von ihm zurückgezogen hätte. Eher schien sie nach Zweisamkeit zu verlangen, dabei war sie jedoch so schweigsam, als könne sie nicht in Worte fassen, was sie belastete. Sie war nicht mehr die Jenna, die er kannte, und das beunruhigte Calvyn mehr als alles andere.
Als Calvyn wieder einmal vor dem Wandteppich stand, kämpfte er damit, seinen aufsteigenden Ärger herunterschlucken. Es war spät am Abend. Die Meister hatten ihn endlich aus dem Unterricht entlassen und waren auf ihre Zimmer gegangen. Doch Calvyn hatte mit einer Flut von Gedanken und Gefühlen fertig zu werden. An Schlaf war nicht zu denken.
Der Teppich zeigte klar und deutlich Selkor, der Calvyn mit magischen Mitteln angriff, und Calvyn mit dem Schwert in der Hand, wie im Zweikampf zweier Krieger. Warum wehre ich mich nicht mit Magie?, fragte sich Calvyn. Selkor trug offensichtlich keine Waffe, warum Calvyn? Wenn die Meister doch wussten, dass Calvyn gegen Selkor antreten musste, warum überließen sie ihm dann nicht den Stab des Dantillus? Meister Jabal hatte ihm bereits versprochen, dass sie am nächsten Tag mit dem Stab üben würden, aber welchen Sinn hatte das? Der Stab war auf dem Bild nicht zu sehen.
Die Gestalten auf dem Wandbehang waren zu klein, als dass Calvyn hätte erkennen können, ob er den Ring des Nadus trug. Deshalb wollte er die Meister bitten, den Umgang mit dem Ring vorrangig zu üben. Aber es war nicht ausgeschlossen, dass sich das Bild noch veränderte und ihn mit dem Stab des Dantillus zeigte. Es war zum Verzweifeln.
»Hast du Angst?«, fragte Perdimonn.
Calvyn erschrak, denn er hatte seinen Lehrer nicht kommen hören.
»Etwas«, gab er zu. Dann grinste er Perdimonn an. »Genauer gesagt bin ich wie gelähmt.«
»Ich verstehe«, meinte der Alte. »Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du bist gut vorbereitet.«
»Ich und gut auf einen Kampf mit Selkor vorbereitet?«, fuhr Calvyn leicht hysterisch auf. »Der zerschmettert mich doch mit dem kleinen Finger.«
»Nein, das glaube
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