Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
der Akademie ergangen war. Als er hörte, wie unterschiedlich die Meister mit Calvyns schnellen Fortschritten umgegangen waren, lachte er.
»Sogar Meister Jabal war entsetzt, dass ich mir eigene Formeln ausgedacht habe«, vertraute Calvyn ihm mit gesenkter Stimme an. »Das verstehe ich gar nicht. Aus den Gesprächen mit dir habe ich gefolgert, dass es unbeschränkt viele Möglichkeiten gibt, wie man Magie einsetzen kann. Ich dachte immer, vorausgesetzt, ich verwende die richtigen Runen und mache mir ein klares Bild, bin ich Meister über die Magie, sobald ich die Formel vollende. Die Meister haben mir aber recht deutlich zu verstehen gegeben, dass es genau umgekehrt ist.«
»Ist dir denn je eine deiner magischen Formeln missglückt?«, fragte Perdimonn mit einem amüsierten Lächeln.
»Nein, aber …«
»Daraus solltest du deine eigenen Schlüsse ziehen«, unterbrach Perdimonn ihn und zwinkerte ihm zu. »Vergiss nicht, dass die Meister, die an der Akademie lehren, selbst schon ihre Ausbildung dort gemacht haben. Sie geben das Wissen weiter, das sie von ihren Meistern gelernt haben. Leider neigen Magier dazu, das Wissen ihren eigenen Fähigkeiten anzupassen, um ihr Können im besten Licht erscheinen zu lassen. Wenn jemand so viel Einfluss darauf hat, wie er sein Wissen weitergibt, zumal über einen so langen Zeitraum, wird so manches verzerrt. Das ist oft keine Absicht, aber mit der Zeit werden diese Verzerrungen zu Traditionen und gelten schließlich als unumstößlich. Ein guter Student stellt alles infrage, und ein guter Meister hat sein Wissen nicht auswendig gelernt, sondern aus Erfahrungen gezogen. Denk darüber nach. Wenn du möchtest, können wir uns später noch einmal darüber unterhalten.«
Calvyn musste Perdimonns Worte tatsächlich erst verarbeiten. Sie widersprachen allem, was an der Akademie galt. Calvyn fragte sich, warum Perdimonn ihn nach Terilla geschickt hatte, wenn er doch von den Lehren der Magier nichts hielt.
»Und du hast dich also der Aufgabe, Calvyns Seele zu retten, als würdig erwiesen«, wandte sich Perdimonn an Jenna. »Ich bin sehr beeindruckt. Ich wusste ja, dass du eine entschlossene junge Dame bist, aber um ganz ehrlich zu sein, habe ich nicht so ganz daran glauben können, dass du es schaffst. Ich schulde dir großen Dank. Immerhin wäre das eigentlich meine Aufgabe gewesen.«
»Nicht doch, Perdimonn«, murmelte Jenna verlegen. »Ich habe es ja nicht für dich getan, sondern für mich. Ich muss dir allerdings etwas beichten: Das Gold habe ich fast vollständig hergeschenkt. Ich zahle es dir natürlich zurück, aber es wird eine Weile dauern, bis ich so viel zusammenhabe.«
»Du hast es jemandem geschenkt?«, fragte Perdimonn mit einer merkwürdig erfreuten Miene. »Darf ich fragen, wem?«
»Einem Ehepaar. Es behauptete übrigens, dich zu kennen: Gedd und Kerys Arissalt.«
Perdimonn dachte eine Weile stirnrunzelnd nach, dann hellte sich sein Gesicht auf. »Kerys, die Heilerin? Aus einem Dorf im shandesischen Teil des Großen Walds im Westen?«
»Genau die«, bestätigte Jenna. »Sie hat mir mit ihren Heilkünsten das Leben gerettet. Und ohne Gedds Hilfe hätte ich den entscheidenden Kampf gegen den Gorvath auch nicht überlebt.«
»Dann war das Geschenk doch angemessen. Du schuldest mir gar nichts, Jenna. Auch wenn du etwas anderes mit dem Geld gemacht hättest, wärst du mir nichts schuldig. Ich habe es dir ja nicht geliehen, sondern gegeben. Es sollte dir bei der Erfüllung deiner Aufgabe helfen und so war es ja auch.«
Die drei betraten mit einigem Abstand zum Rest der Gruppe die große Eingangshalle. Die anderen standen bereits vor dem großen Gobelin und betrachteten kopfschüttelnd die geisterhaften Figuren der Magier, die nur noch als Schatten zu erkennen waren. Vor allem auf Morrels Stirn hatte sich eine tiefe Falte gebildet, während er finster zu dem Teppich hinaufstarrte. Perdimonn trat zu ihm und legte dem untersetzten Mann eine Hand auf die Schulter.
»Was ist, Morrel? Was siehst du?«, fragte der alte Magier leise.
»Der Stein links im Bild.« Morrel deutete auf einen großen Felsen, der ganz offensichtlich von Menschenhand geformt worden war. »Erinnert er dich nicht an etwas?«
Perdimonns Augen weiteten sich. »Das hat er also gemeint!«
»Was denn, Perdimonn? Wer hat was gemeint?«, fragte Calvyn.
»Selkor, heute Morgen«, erwiderte der alte Magier. »Er sagte: ›Erzähl das deinem Gott, egal, welcher es ist.‹ Er meinte das wörtlich. Das hier,
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