Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
schärfer an.
Die beiden ritten im gestreckten Galopp aufeinander zu und sprangen aus dem Sattel, noch ehe ihre Pferde zum Stehen gekommen waren. Calvyn lachte vor Freude, seinen Freund zu sehen, und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Völlig unvorbereitet traf ihn Beks hasserfüllter Blick, der ihn erstarren ließ. Die beiden standen einander nun in etwa fünf Schritt Entfernung gegenüber.
»Bek?«, fragte Calvyn verwirrt.
»Zieh dein Schwert und sieh dem Tod ins Auge, Shanier«, erwiderte Bek kalt, zog sein eigenes und schritt langsam auf Calvyn zu.
»Bek, ich bin es, Calvyn. Shanier gibt es nicht mehr. Er starb in dem Moment, als meine Seele zurückkehrte. Bek?«
»Zieh dein Schwert. Ich vernichte dich so oder so.«
Die anderen vier Reiter, die mittlerweile zu ihnen gestoßen
waren, flehten Bek alle an einzuhalten. Doch so, wie er in der Arena das Geschrei der Zuschauer ausgeblendet hatte, verschloss er auch jetzt seine Ohren. Für ihn gab es nur noch eines: Er wollte seinen Schwur erfüllen und den Mann, der da vor ihm stand, töten.
Calvyn wich zurück, die Hand am Heft seines Schwertes, jedoch entschlossen, es nicht gegen seinen Freund zu ziehen, solange es nicht unbedingt nötig war. Warum hielt Bek ihn immer noch für Shanier? Derra und die anderen hatten ihm doch sicher erzählt, was geschehen war? Calvyn verstand nicht, was in Bek vorging, doch ihm war klar, dass er ihn ernst nehmen musste. Calvyn brauchte eine Art Auszeit, um mit ihm zu reden. Auch wenn es ihm widerstrebte, fiel ihm nur eine Möglichkeit ein, Bek in Schach zu halten, ohne ihn zu verletzen: mittels Zauberei.
»Hör zu, Bek, ich will das nicht, aber du lässt mir keine andere Wahl«, sagte Calvyn entschuldigend, während er sich Zugang zu Beks Geist zu verschaffen versuchte, um ihn mit geistiger Gewalt zurückzuhalten. Doch zu Calvyns Entsetzen entschlüpfte ihm Beks Geist wie ein Stück nasse Seife. Der Zauber schien an ihm abzugleiten, egal, wie viel Kraft er hineinsteckte. Genau diesen Augenblick wählte Bek für seinen Angriff.
Calvyn gelang es, das Schwert zu ziehen und Beks Hiebe abzuwehren. Zwölfmal kreuzten sie die Klinge, bevor er auf Abstand gehen konnte.
»Das ist doch Wahnsinn, Bek! Warum tust du das?«, fragte Calvyn und versuchte gleichzeitig, Macht über seinen Freund zu gewinnen, wieder ohne Erfolg.
»Ich habe geschworen, dich zu töten, Shanier. Ich habe es bei Jez’ Leiche geschworen und ich werde meinen Schwur halten«, erwiderte Bek mit emotionsloser Stimme. Die kalten graublauen Augen allerdings, die seine Gegner in der
Arena von Shandrim so gefürchtet hatten, waren erfüllt von tiefem Zorn und unbändiger Rachsucht.
»Jez ist tot?«, fragte Calvyn traurig.
»Ja, und du wirst es auch bald sein«, knurrte Bek und griff erneut an.
Wäre Bek im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte gewesen, so hätte Calvyn nicht einmal die ersten paar Sekunden überlebt. Aber auch in seinem elenden Zustand, in dem ihm jeder Schwerthieb und jeder Ausfallschritt stechende Schmerzen bereitete, war Bek Calvyn mehr als gewachsen. Dank seiner Kampfausbildung in der Arena verfügte er über Fertigkeiten, die Calvyn nie erlernt hatte, und Calvyn musste mit jedem Hieb seiner Klinge einen Schritt zurückweichen.
Plötzlich zögerte Bek und machte einen Schritt zurück. Da merkte Calvyn, dass sie nicht mehr allein waren. Fesha und Jenna standen mit gezogenen Klingen zu Beks Linken, Derra und Eloise zu seiner Rechten.
»Nimm das Schwert runter, Bek«, knurrte Derra. »Hör endlich auf mit dem Unsinn.«
Doch Bek war nicht bereit aufzugeben. Er zog einfach sein zweites Schwert und rüstete sich mit zusammengebissenen Zähnen zum nächsten Angriff. Schon begann durch seinen Waffenrock Blut zu sickern, dort, wo an seiner Seite die erst kürzlich verheilte Wunde wieder aufgebrochen war. Calvyn sah es, wusste aber, dass sie nicht von einem seiner Hiebe stammte. Er hatte es ja kaum geschafft, Beks Schläge abzuwehren, ganz zu schweigen davon, einen Gegenangriff zu starten.
Calvyn überlegte verzweifelt, mit welcher magischen Formel er Bek aufhalten konnte. Da traf ihn eine Idee wie ein Blitzschlag, und ohne einen Moment darüber nachzudenken, setzte er sie in die Tat um.
Gerade als Bek sich auf seinen Gegner stürzen wollte, was für beide gewiss ein schmerzhafter Angriff geworden wäre, verloren Beks Beine den Bodenkontakt, er stieg in die Luft und schwebte bald zwei Mannshoch über dem Erdboden. Arme und Beine konnte er
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