Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
bedeutete ihr, näher zu kommen. »Du bist doch nicht gekommen, um mir zu melden, dass du deinen Auftrag bereits erfüllt hast, oder?
Du kannst ja noch nicht mal den Weg zur thrandorischen Grenze und zurück geschafft haben!«
»Da habt Ihr wohl recht, Eure Majestät«, antwortete Femke. Wie Vallaine sprach sie mit leiser und verschwörerischer Stimme. »Ich hatte noch nicht einmal die Grenze erreicht, als ich mich gezwungen sah umzukehren. Es geschehen merkwürdige Dinge außerhalb von Shandrim, Eure Majestät. Zum einen sind Dämonen unterwegs. Wohl aus einem merkwürdigen Zufall heraus folgte ich ihrer Spur eine weite Strecke in Richtung Thrandor. Doch das war nicht der Anlass für meine Umkehr. Ich bin nach Shandrim zurückgekehrt, weil ich aus reinem Glück auf Lord Shaniers Spur stieß, die in die entgegengesetzte Richtung führte. Ich bin hier, Eure Majestät, weil ich guten Grund zu der Annahme habe, dass sich Lord Shanier bereits in Shandrim aufhält.«
»Ah!«, rief Vallaine aus. »Genau, wie ich dachte! Weiter, Femke. Wie hast du seine Spur gefunden?«
»Wie ich schon sagte, Eure Majestät, war es nur dem Zufall zu verdanken. Ich erhielt mehrere Hinweise auf den thrandorischen Kämpfer und seine Gefährten, die Shandrim Richtung Süden verlassen hatten. Ich folgte ihnen, und schon bald kamen mir Gerüchte über merkwürdige Kreaturen zu Ohren, die in derselben Richtung unterwegs waren.«
Femke bemerkte den zufriedenen Ausdruck, der sich bei der Erwähnung der Dämonen auf das Gesicht des vermeintlichen Kaisers schlich. Sie hatte wohl richtig gelegen mit ihrer Vermutung, dass er sie hatte heraufbeschwören lassen.
»Die Spuren führten zur thrandorischen Grenze, und ich ritt, so schnell es eben ging, südwärts. Ich bin sicher, dass ich Boden auf die Thrandorier gutmachte, doch da mir die Dämonen offenbar die ganze Zeit weit voraus waren, hörte
ich nicht mehr als Gerüchte. Sie waren offenbar unglaublich schnell in Richtung Thrandor unterwegs.«
Femke hielt einen Augenblick inne und blickte abwesend zur Decke, als riefe sie sich ihre Reise zurück ins Gedächtnis. Die junge Spionin hatte Erfahrung im Lügen und Betrügen, sei es, andere dabei zu ertappen, sei es, es selbst überzeugend zu tun. Sie war ihm gegenüber zudem im Vorteil: Lord Vallaine wusste zwar, dass sie den Verdacht hegte, mit dem Kaiser sei etwas nicht in Ordnung, doch sie wusste ihrerseits, dass er es wusste. Trotzdem war die Lage verworren und gefährlich. Der Nervenkitzel und die Gefahr, dass ihr doppeltes Spiel mit einem einzigen falschen Wort auffliegen könnte, beschleunigten ihren Herzschlag, ließ sie aber auch klar und zielgenau denken.
»Die Dämonen töteten offenbar Rinder und Schafe, nicht etwa aus Hunger, sondern aus reiner Freude am Töten. Ich hörte, dass Vieh abgeschlachtet worden wäre und dass sich auf entlegenen Bauernhöfen grässliche Morde ereignet hätten, die die Handschrift von Dämonen trugen. Wie auch immer, eines Tages, kurz vor der thrandorischen Grenze, kam ich spätabends an ein Gasthaus, um dort zu übernachten, da ich von meinem mehrtägigen scharfen Ritt erschöpft war. Am nächsten Morgen wollte ich noch vor Sonnenaufgang aufstehen und die Grenze überqueren. Doch während ich mit dem Gastwirt noch über den Preis des Zimmers feilschte, hörte ich etwas, was mich umstimmte.«
»Was denn? Was hast du gehört?«, fragte Vallaine neugierig.
Femke hatte ihn am Haken, das wusste sie. Er hatte den Köder geschluckt und würde ihr nicht mehr entkommen. Nun musste sie ihre Beute nur noch einholen.
»Drei Männer unterhielten sich leise über einen ungewöhnlichen Fremden, der nur einen Tag zuvor durchs Dorf gekommen war. Er sei in Eile gewesen. Er habe zornig
gewirkt und eine Verwundung am Arm gehabt, die er zu verbergen suchte.«
»Ein Fremder, sagst du? Wie kommst du darauf, dass es Shanier wahr?«
»Dazu wollte ich gerade kommen, Eure Majestät. Zwei der Männer hatten ihn gesehen und gaben dem dritten eine Beschreibung. Einer sagte, er sei jung gewesen, habe blonde Haare und blaue Augen gehabt. Der andere sprach von einem langen schwarzen Umhang und blank polierten schwarzen Stiefeln. Beide erwähnten, dass der Mann eine Art Magier sei und nach Shandrim wolle. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, Eure Majestät, hat mich das aufhorchen lassen. Aus der Beschreibung ging ziemlich klar hervor, dass es sich bei dem Fremden um Shanier handeln musste. Woher sie wussten, dass er magische Kräfte hat,
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