Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
Kämpfer dabei, fürchte ich.«
»Dann darfst du auch nicht passieren«, erwiderte der Mann sachlich.
»Aber dass ich keinen Kämpfer dabeihabe, bedeutet nicht, dass ich nicht einen heraufbeschwören könnte«, sagte Selkor beiläufig. »Ihr lasst mir keine andere Wahl.«
Er kramte in seinen vielen Taschen, bis er einen kleinen schwarzen Beutel fand, der aus einem weichen samtartigen
Stoff war, zugebunden mit einer goldfarbenen Kordel. Mit fast andächtiger Sorgfalt öffnete der Magier den Beutel, entnahm etwas von seinem Inhalt, schritt einen perfekten Kreis ab und ließ dabei das Pulver auf den Boden rieseln. Die Substanz glitzerte, während sie nach unten sank. Merkwürdigerweise wurde sie von der leichten Brise, die Selkors Umhang blähte, nicht verweht.
Als Selkor den Ring abgeschritten hatte, blieb am Boden eine schimmernde Kreislinie zurück. Die beiden Wächter blickten einander kurz an und Selkor konnte die geistige Verbindung zwischen ihnen fast körperlich spüren. Er war sich ziemlich sicher, dass die beiden wussten, was er vorhatte. Dennoch zeigte keiner von ihnen die geringste Furcht. Dass die Aussicht auf einen Dämon die beiden so gar nicht schreckte, versetzte Selkor wiederum in tiefe Unruhe. Vergeudete er seine Zeit? Waren die beiden Krieger etwa vor jeder Art von Angriff gefeit? Selkor riss sich zusammen und unterdrückte die Zweifel, die in ihm aufstiegen. Er hatte sich auf den Dämon zu konzentrieren. Wenn man sich beim Heraufbeschwören eines Geschöpfes aus der anderen Welt ablenken ließ, konnte das verheerende Folgen haben.
Selkor hatte die Hexenkunst zwar nie besonders gewissenhaft studiert, doch es war zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Nun, da der Kreis abgeschritten war, atmete Selkor tief durch und stimmte die erste Strophe eines tiefen Singsangs an.
Er war vernünftig genug, einen mittelgroßen Krill heraufbeschwören zu wollen, den er beherrschen konnte. Der Schattendämon würde mit den beiden Männern schon fertig werden, und wenn sie noch so gut mit ihren Schwertern umgehen konnten. Die Haut eines Krills widerstand jeder normalen Klinge, und mit den rasiermesserscharfen
Krallen zerfetzte so ein Ungetüm sogar die stärkste Rüstung – nicht dass die beiden Wächter eine getragen hätten.
Der merkwürdige Singsang der Beschwörungsformel ähnelte dem, mit dem Selkor am Vortag die Krieger hatte bannen wollen, unterschied sich aber zur gleichen Zeit auch grundsätzlich davon. Anstatt durch den Tonfall und die Macht der Wiederholung seine Zuhörer zu verzaubern, richtete er seinen Gesang diesmal ausschließlich in die andere Welt. Wer seine fünf Sinne beisammenhatte, machte um einen Hexenmeister, der einen Dämon heraufbeschwor, auch dann einen großen Bogen, wenn das Ungeheuer nicht ihm galt, denn Dämonen töteten wahllos.
Innerhalb des Kreises tauchte ein seltsames unförmiges graues Etwas auf. Wieder warfen die beiden Wächter einander einen vielsagenden Blick zu. Selkor, der seine Kräfte nun noch stärker bündeln musste, rannen Schweißtropfen über die Stirn. Das waren die entscheidenden Momente. Er durfte in diesem Moment nicht nachlassen und musste den Krill, sobald er Gestalt annahm, unter seine Herrschaft zwingen, sonst würde er sterben.
Da nahm die wabernde graue Masse urplötzlich Gestalt an, und vor ihm stand ein wütender und keifender Dämon, dessen Blick auch den stärksten Menschen, der ihm in die Augen sah, unweigerlich bannen würde, Doch Selkor hatte ihn völlig in seiner Gewalt. Der Krill beugte den Kopf vor seinem Meister.
»Töte die beiden Männer da für mich«, befahl Selkor mit Nachdruck. »Dann kehre zu den Deinen zurück. Dein Meister hat gesprochen.«
Der Kreis rund um den Krill verschwand mit einem Knall und das Untier jagte mit ohrenbetäubendem Gebrüll auf die Wächter zu. Keiner der beiden zuckte auch nur mit der
Wimper. Mit offenem Mund beobachtete Selkor, was weiter geschah.
Die beiden Kämpfer blickten dem anstürmenden Krill entgegen. Doch in dem Augenblick, in dem er sich auf sie stürzte, löste das Biest sich unvermittelt in Luft auf. Soweit Selkor es zu beurteilen vermochte, war kein Zauber, keine Magie zum Einsatz gekommen. Und doch war der Krill in der einen Sekunde im Sprung und in der nächsten verschwunden.
»Jetzt reicht es«, brüllte Selkor außer sich vor Wut. Ohne weiter nachzudenken und die Folgen seines Tuns zu erwägen, konzentrierte er sich auf die Schlüssel: erst den Feuerschlüssel, dann den
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