Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
vermutet bestimmt nicht, dass nach ihm gesucht wird,
dachte Vallaine. Seine Leichtfertigkeit wird sein Schicksal besiegeln.
Vallaine war enttäuscht, als er keine Spur von seinem einstigen Schützling fand. Aber er schätzte starke Gegner. Als sein Geist wieder in seinen Körper zurückkehrte, versetzte es den alten Zauberer in eine merkwürdige Hochstimmung, dass Shanier doch nicht so leichtsinnig war, sich ohne Schwierigkeiten aufspüren zu lassen. Wenn Vallaine seinen Gegner in diesem tödlichen Spiel am Ende schlug, würde sein Sieg umso süßer schmecken.
Vallaine lehnte sich entspannt zurück und nahm einen weiteren Schluck Wein. Wenn es etwas gab, was er am alten Kaiser schätzte, so war es sein guter Geschmack. Die Weine, die im Keller lagerten, waren hervorragend und trugen erheblich dazu bei, dass er die Anspannung, unter der er stand, aushielt. Kaiser zu werden, schien damals eine so gute Idee gewesen zu sein. In der Tat hatte es die unmittelbare Bedrohung durch die Auftragsmörder gebannt oder zumindest für eine Weile reduziert. Allerdings hatte sich die politische Lage keineswegs entspannt, wie er eigentlich angenommen hatte, und seine Optionen waren zurzeit beschränkter als je zuvor.
»Ich könnte mich jederzeit aus dem Staub machen«, murmelte er nachdenklich.
Dieser Gedanke, der ihm nicht zum ersten Mal kam, schien ihm immer verlockender. Immerhin konnte er jede Gestalt annehmen, die er wollte, und einfach aus dem Palast spazieren, ohne dass ihn jemand erkannte. Dagegen sprach, dass er eine solche Niederlage nicht ertragen hätte. Der Zauberlord hatte sich noch nie einfach aus dem Staub gemacht, wenn es eng für ihn wurde – mit einer Ausnahme: Als die Nachricht aus Thrandor durchsickerte, dass Shanier ein doppeltes Spiel getrieben hatte, hatten sich die
übrigen Zauberlords geschlossen gegen ihn gestellt. Damals war er dem Hohen Rat nur mit viel Glück und mithilfe seines Rings lebend entkommen. Nun aber steckte der Ring am Finger eines thrandorischen Kämpfers, der keine Ahnung von seinen Kräften hatte. Schlimmer noch: Der Mann, den der Thrandorier töten sollte, war quicklebendig und hielt sich in Shandrim auf, der thrandorische Kämpfer offensichtlich nicht.
Vallaine knirschte bei dem Gedanken, dass er seinen Ring für nichts und wieder nichts hergegeben hatte, verärgert mit den Zähnen. Diese Entscheidung war falsch gewesen, ebenso wie manch andere in letzter Zeit. Dass man die Aufrührer gefasst hatte, war die erste gute Nachricht seit Tagen. Zum Glück war Femke eine fähige Spionin. Sie hatte völlig recht: Gemeinsam mit Surabar und Shalidar würden sie Shanier erwischen – und dann würde Vallaine seine Rache bekommen.
Bei diesem Gedanken stellte er sein Glas auf den Tisch und verschränkte die Finger. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und in seinen Augen blitzte eine fast dämonische Bosheit.
15
Selkor war erschöpft und auch wütend. Den Rest des Tages, die ganze Nacht und den nächsten Morgen hatte er nun hier verbracht und die beiden Wächter beobachtet, die ihm den Weg zum Thron der Götter versperrten. Sie hatten ihn gleichermaßen im
Auge behalten und dabei weder Ungeduld noch Müdigkeit gezeigt. Schon allein das zeigte, dass die beiden Krieger sehr ungewöhnliche Vertreter ihres Berufsstandes waren. Nach Selkors Erfahrung waren Wachleute schnell gelangweilt und leicht abzulenken. Nicht diese beiden.
Der shandesische Magier kam steifbeinig auf die Füße und streckte sich. Die schlaflose Nacht und die anstrengende Zauberei hatte ihn ermüdet, doch er hatte im Laufe seines Magierlebens die Fähigkeit entwickelt, durch Selbstbeherrschung die Müdigkeit, wenn nötig, mehrere Tage lang zu verdrängen.
Bei seiner ersten Bewegung stellten sich die beiden Wächter etwa zehn Schritt vor ihm nebeneinander auf den Weg und blockierten erneut den Zugang zu dem Pfad, den er nehmen wollte.
»Meine Herren«, begann Selkor, klopfte sich den Staub von den Beinkleidern und stampfte mit den Füßen, um seinen Blutkreislauf anzuregen und die Beinmuskulatur nach dem langen Sitzen zu lockern. »Gewährt mir Durchgang, ich bitte euch. Andernfalls wäre ich gezwungen, unangenehm zu werden«, warnte er Unheil verheißend.
»Wer kämpft für dich?«, fragte der größere der beiden Krieger. »Du erhältst Zugang, wenn du jemanden bringst, der einen von uns besiegt. Wähle die Waffen.«
»Ach! Ich verstehe.« Selkor ging ein Licht auf. »Ich habe aber keinen
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