Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
Hoffnung, dass die Telefonkonferenz vertagt wurde, in seinem Inneren glaubt er allerdings selbst nicht daran. Der chinesische Großkonzern ist einer der bedeutendsten Auftraggeber und weiß dies auch zu zeigen. Schon der kleinste Fehler, wie ein verschobenes Meeting, kann die Disqualifikation für Paul und seine Kollegen bedeuten. Die Branche ist hart umkämpft und übersättigt und gute Referenzen sind überlebensnotwendig. Diese Lage und das Wissen darum macht die Arbeit für eine junge Firma wie Plan4Good, nicht gerade leicht. Umso überwältigender war der Tag, an dem die Anfrage von China-Aerotec ins Haus flatterte. Natürlich war allen klar, dass Plan4Good nur einen Lückenfüller für ein Alternativangebot darstellen sollte, so ein Vorgehen ist üblich. Bei derart großen Projekten werden meist zwei renommierte und solide Unternehmen sowie ein sogenanntes Greenhorn beauftragt. Dies dient zum einen dazu, die Qualitätsunterschiede besser hervorzuheben und zum anderen, sich ständig davon zu überzeugen mit den Besten zusammen zu arbeiten. Aber wie gering die Chance für Pauls Firma auch sein mag, es bleibt dennoch eine Chance, DIE Möglichkeit endlich mit den Großen in einer Liga zu spielen. Natürlich ist sich China-Aerotec seiner Stellung bewusst und an Problemen oder Engpässen von Plan4Good nicht interessiert. Die Kunden wollen Ergebnisse und zwar am besten gestern. Der Zeitunterschied beider Länder macht die Sache nicht gerade einfacher und so ist selbst die frühe Uhrzeit der angesetzten Telefonkonferenz nicht ungewöhnlich.
Mit quietschenden Schuhen biegt Paul um die letzte Ecke des Flures und bremst abrupt ab. Die Unterlagen! In seiner Panik hat er ganz vergessen, die Pläne aus seinem Büro zu holen. Dieses liegt am anderen Ende des Gebäudes und der Weg dorthin würde weitere wertvolle Minuten in Anspruch nehmen. Aber soll er tatsächlich ohne die Entwürfe in das Meeting platzen, zu spät und ohne Vorbereitung? Einen Sekundenbruchteil wägt Paul die Möglichkeiten ab, dann hat er seine Entscheidung getroffen. An die Zeichnungen hätte er eher denken sollen, jetzt bleibt ihm für den Umweg keine Zeit mehr.
Für einen Moment schließt er die Augen, während er tief einatmet und den Rücken durchstreckt. Diese Geste hatte ihm sein Vater beigebracht und noch heute denkt Paul an dessen Worte: "Der Mensch sendet unaufhörlich Signale aus. Wenn du dich unsicher und unbehaglich fühlst, spüren das deine Mitmenschen. Tritt jederzeit mit geradem Rücken und selbstbewusst auf, auch dann, wenn du dich am wenigsten danach fühlst."
Das waren damals harte Worte für einen Drittklässler, der eine Heidenangst vor seinem ersten Vortrag hatte. Doch später empfand Paul Dankbarkeit für den Rat und letztlich trug dieser nicht wenig zu seinem heutigen beruflichen Erfolg bei.
Mit großen Schritten geht er zur Tür und öffnet diese entschlossen. Wie erwartet findet sich Paul nur wenige Sekunden später in einem Raum voll erstaunter Blicke und peinlichem Schweigen wieder. Der Ausdruck auf den meisten Gesichtern ist freundlich, aber betreten. Es ist unverkennbar, wie froh die Kollegen sind, nicht in seiner Haut zu stecken.
Die kurze Unterbrechung endet abrupt, als Herr Kreisig das Gespräch wieder an sich reißt. Obwohl dieser mit dem Rücken zu Paul steht, genügen die steife Haltung und Pauls Vorstellungsvermögen, um zu erahnen, wie wütend der Vorgesetzte sein musste. Mit einer entschuldigenden Geste setzt sich Paul an den Rand, wo er mit rasendem Puls auf die Präsentation an der Wand starrt. Zu allem Unglück bemerkt er eine wallende Hitze in sich aufsteigen und ärgert sich. Das hat ihm gerade noch gefehlt, jetzt wird er auch noch rot wie ein kleiner Schuljunge.
Diesen Fluch kennt Paul zur Genüge, seit seiner Kindheit kommt und geht sein Erröten, ohne dass er es beeinflussen kann. Da hilft nur eines: Ruhe bewahren und an etwas anderes denken, sonst würde sich der Zustand nur noch verschlimmern. Angestrengt und mit leuchtendem Kopf, ruft Paul sich das letzte Treffen mit Klara ins Gedächtnis. Das Bild ihres gebrechlichen Körpers und dem dennoch tapferen Lächeln lässt ihn für einen Moment seine Umgebung vergessen. Es gibt so viel Wichtigeres als die Arbeit. Gesundheit und Liebe sind zwei Geschenke, die es für kein Geld der Welt zu kaufen gibt. Allmählich verlangsamt sich Pauls Herzschlag und auch die Wärme an seinen Ohren lässt nach. Je mehr er sich beruhigt, desto ungläubiger starrt er auf die
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