Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
Tropfen auf meiner Wange und trockne sie verlegen.
"Mensch Charlotte, dass du dich so für mich freust. Damit hätte ich nicht gerechnet. Na, wie heißt es doch so schön mit der harten Schale und dem weichen Kern? Jetzt komm erst mal her und schnapp dir ein Glas. Lasst uns alle anstoßen!"
Zustimmendes Gemurmel wird laut. Ich nehme blinzelnd das mir gereichte Getränk entgegen und dränge mich unauffällig an das Fenster. Fassungslos lehne ich mich an die Wand, deren Kühle meine Gedanken klarer werden lässt. Weicher Kern? Gleich gebe ich ihr was mit der harten Schale!
Allmählich drängt sich eine schreckliche Erkenntnis in mein Bewusstsein. Evi muss gestern die Keksschachtel gefunden haben und darunter die versteckte Akte. Ich kann es förmlich vor mir sehen. Wie sich die dicken Backen grinsend nach oben schieben, die Wurstfinger gierig nach der Mappe greifen, derweil die stummeligen Stampfer sich in Bewegung setzen. Natürlich in Richtung Vorstand. Und alles im Alleingang, ohne nachzudenken. Ohne nachzufragen, ob die Unterlagen nicht vielleicht schon jemandem gehören.
Der Tränenfluss rinnt unaufhörlich über mein Gesicht und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut loszuschluchzen. Meine unangenehme Showeinlage wird unterdessen überwältigt von den anderen beobachtet. Wenn mich jetzt einer in die Arme nimmt, ich schwöre bei Gott, der hat danach keine mehr.
Plötzlich klopft es laut an die Tür und Herr Brunner kommt herein.
"Nun die Damen, hier wird wohl kräftig gefeiert, wie? Dabei habe ich in meinem Büro einen kleinen Empfang vorbereitet. Was halten Sie davon, wenn wir jetzt alle nach oben gehen und gemeinsam anstoßen?"
Überall erklingt laute Zustimmung und die Herde schiebt sich ausgelassen aus dem Zimmer. Ich bleibe allein zurück und kippe schweigend den Rest meines Glases hinunter. Mechanisch gehe ich in mein Büro, nehme die Jacke und verlasse verstohlen das Gebäude. Sollte mich jemand vermissen, werde ich sagen, ich hätte den Alkohol nicht vertragen. Aber ich bezweifle dass meine Abwesenheit auffallen wird. Diese kleinen Feierlichkeiten kenne ich zur Genüge, in wenigen Stunden sind alle so voll wie ein Rentnerbus auf Weinprobe im Moseltal. Während sich anschließend die eine Hälfte nach Hause trollt, um dort den vorhin erwähnten Hausfrauen Zigarettenqualm und Alkoholgestank möglichst harmlos zu erklären, ziehen die Hartgesottenen weiter um die Häuser. Ich habe stets der ersten Gruppe angehört, auch wenn auf mich keine vernachlässigte Ehefrau, sondern nur mein dauerbeleidigter Kater Kasimir wartet.
Verstört lasse ich das Auto stehen und gehe zu Fuß. Die frische Luft wirkt wie ein Katerspaziergang nach einem feuchtfröhlichen Silvesterabend und ich beginne mich allmählich zu beruhigen. Wie gewonnen so zerronnen, singt eine leicht verzerrte Stimme in meinem Kopf und ich laufe schneller.
Keuchend hetze ich den Sandweg entlang, doch der Singsang reißt nicht ab und so lasse ich mich bald ergeben und atemlos auf eine Parkbank fallen. Verzweifelt lege ich meinen Kopf auf die Knie und lasse den Tränen freien Lauf. Ich hätte diese dämliche Mappe nie aus der Hand legen dürfen. Aber wer rechnet denn auch mit so etwas? Tja, das Leben ist kein Konjunktiv und kann sich schlagartig ändern. Gestern noch himmelhoch jauchzende Freude und eine rosige Karriere in Aussicht und heute nichts, als Staub unter meinen Schuhen. Und dazwischen dieser merkwürdige Traum.
Ich stutze. Könnte hier ein Zusammenhang bestehen? Blödsinn, das ist absolut unmöglich. Ich glaube nicht an Geister, jetzt erst recht nicht! Außerdem ist an meinem Auto nicht ein einziger Kratzer zu sehen und ein derartiger Aufprall geht doch nicht spurlos an einem vorbei. Nachdenklich massiere ich meine Schläfen. Aber woher stammt dann meine Gedächtnislücke? Nach wie vor, kann ich mich nicht an den Heimweg von Jeremy erinnern.
Vielleicht habe ich Amnesie oder eine andere Krankheit? Erst letzte Woche habe ich einen ähnlichen Bericht in den Nachrichten gesehen. Die arme Semmel, von welcher der Beitrag handelte, lebte nach einem schweren Unfall einfach ein anderes Leben weiter, während ihre Familie, eine Königsfamilie um genau zu sein, jahrelang erfolglos nach der verschwundenen Thronfolgerin suchte. Gut, das könnte auch der Spielfilm vom vergangenen Sonntag gewesen sein, aber ich möchte doch lieber kein Risiko eingehen.
Auf der Suche nach einer Beule, taste ich vorsichtig über meinen Kopf, aber keine Unebenheit ist zu
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