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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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befestigen, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
    Rowan hielt den Atem an, als die Männer zu ihren Wagen zurückkehrten. In nur einer Armlänge Entfernung passierten sie sein Versteck, und er hoffte nur, dass die Bündel dicht genug waren, um ihn zu verbergen. Er hatte Glück, sie bemerkten ihn auch diesmal nicht. Auf den Befehl ihrer Treiber hin legten sich die Ochsen ins Geschirr, und die Wagen rumpelten weiter über die steinige Straße.
    Um sich möglichst klein zu machen, hatte sich Rowan seitlich hingelegt und die Beine angezogen. Zwischen den Bündeln hindurch konnte er auf die Straße spähen, deren Seiten von gepfählten Totenköpfen gesäumt wurden. Schadenfroh, so kam es ihm vor, grinsten die Schädel auf ihn herab – vielleicht weil sie wussten, dass er schon bald zu ihnen gehören würde.
    Nun, da er auf dem Karren kauerte und einem unbekannten Ziel entgegenfuhr, hatte seine Entschlossenheit merklich nachgelassen. Erneut tauchten grässliche Bilder in seiner Vorstellung auf, von Kannibalen und anderen Ungeheuern in Menschengestalt, die am Ende der Reise womöglich auf ihn warteten. Unruhe befiel ihn, und er ertappte sich dabei, dass er am liebsten aufgesprungen und geflüchtet wäre, aber damit hätte er sich erst recht verraten.
    Er musste ausharren und versuchen, Ruhe zu bewahren.
    Geduld …
    Unwillkürlich griff er nach dem Pendel, das um seinen Hals hing, umfasste das Messing. Ein beruhigendes Gefühl ging davon aus, wohl weil es ihn an Bruder Cuthbert erinnerte und an die Lektionen, die der alte Mönch ihm erteilt hatte. Die Freiheit des Geistes war für Cuthbert das höchste aller Güter gewesen. Sie zu bewahren musste auch Rowans oberstes Ziel sein, aller Furcht zum Trotz.
    Die Fahrt dauerte an. Die Straße führte steil bergan und wand sich schließlich einen Pass hinauf. Wohin Rowan auch blickte, sah er nur noch grauen, steil aufragenden Fels, über den sich grauer Himmel spannte. Zum ungezählten Mal fragte er sich, wohin die Reise führen mochte, als sich die Wagen schließlich verlangsamten.
    Rowan hielt den Atem an, sein Pulsschlag hämmerte in seinem Kopf. Hatten die Fremden Verdacht geschöpft?
    Augenblicke unerträglicher Anspannung verstrichen. Dann hörte er, wie sich die Männer etwas zuriefen. Er erwog, die Flucht zu ergreifen und vom Moment der Überraschung zu nutzen, was noch übrig war, aber er beherrschte sich. Wenn sie ihn entdeckt hätten, so sagte er sich, hätten sie ihn längst aus seinem Versteck getrieben. Warum aber wurde der Zug dann immer langsamer?
    Rowan spähte hinaus und konnte sehen, wie die Straße ein Plateau erklomm. Jenseits der weiten Fläche aus grauem Fels ragte vor dem Hintergrund schneebedeckter Gipfel ein Berg empor, der wie ein gewaltiger Pfeiler und flach wie ein Tisch geformt war, sodass er ein weiteres Felsplateau formte. Darauf erhoben sich – Rowan traute seinen Augen kaum – trutzige, aus Felsgestein gemauerte Türme.
    Mehr noch: Als sie die Felsenhöhe vollends erklommen hatten, erkannte Rowan, dass eine breite Kluft das Plateau durchlief; auf der anderen Seite erhob sich eine ebenfalls aus Felsgestein errichtete Mauer, in die ein von zwei Türmen gesäumtes Tor eingelassen war. Eine hölzerne Zugbrücke war herabgelassen, die die Kluft überbrückte und auf die der Wagenzug zuhielt.
    Je näher die Karren dem Tor kamen, desto mehr Einzelheiten konnte Rowan erkennen. Er sah die Wachen, die vor der Zugbrücke und auf den Türmen standen. Ihre wollenen Tuniken und Fellmützen waren denen der Ochsentreiber vergleichbar, ebenso wie ihre gedrungene Postur. Bewaffnet waren sie mit kurzen, aus Horn gefertigten Bogen oder mit fremdartig geformten Speeren und kleinen Rundschilden. Jenseits der Mauern, in der Felswand, die lotrecht an die dreißig Mannslängen emporwuchs, ehe sie in das nächste Plateau mündete, klafften Öffnungen, die teils natürlichen Ursprungs, teils von Menschenhand ins Gestein geschlagen worden zu sein schienen. Einige waren halb mit Felsbrocken ausgemauert, sodass sich von Zinnen gekrönte Brustwehren ergaben, andere waren mit hölzernen Erkern versehen, den Hurden ähnlich, die zu Verteidigungszwecken über Burgmauern errichtet wurden. Rowan nahm an, dass das gesamte Innere des Bergpfeilers von Höhlen durchzogen war, die sich bis hinauf zum von Türmen gekrönten Plateau erstreckten. Es war eine gewaltige Felsenburg, eine Festung über den Wolken!
    Rowan spürte, wie ihn ein Schauder durchrieselte. Sollte dies die

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