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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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beobachtete. »Ich trage keine Fesseln, dennoch bin ich ein Gefangener in diesem Felsenturm. Und ich fürchte, mein Junge, dass du dieses Schicksal fortan mit mir teilst.«
    »Aber …?«
    »Kein Fremder, der die Festung der Keraiten betreten hat, hat sie jemals wieder verlassen. Die Existenz dieser Festung soll verheimlicht werden, auf dass kein Feind sie finde.«
    »Ist das auch der Grund, weshalb der päpstliche Gesandte und seine Männer nie zurückgekehrt sind?«, wollte Rowan wissen.
    »Wer weiß? Der Fürst gibt vor, nichts von ihnen zu wissen, aber ich bin mir nicht sicher, ob dies der Wahrheit entspricht. Die Keraiten sind misstrauisch gegenüber Fremden, was ich ihnen angesichts ihrer Geschichte nicht verdenken kann.«
    Rowan nickte nachdenklich. Er wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Im Augenblick überwog noch die Freude, seinen väterlichen Freund wieder zurückzuhaben. Kurzerhand griff er nach der Lederschnur, die um den Hals hing, nahm das Pendel ab und reichte es ihm.
    »Hier«, sagte er nur.
    »Was ist das?«
    »Nur etwas, das ich auf dem Weg gefunden habe.«
    »Das Pendel!« Wehmut schien in Cuthberts Stimme mitzuschwingen, als er es entgegennahm. »Ich hätte nicht gedacht, es noch einmal wiederzusehen.«
    »So wie ich nicht gedacht hätte, Euch noch einmal wiederzusehen«, feixte Rowan.
    »Es war ein Kriegstrupp Fürst Ungh-Khans, der unser Lager in jener Nacht überfiel und mich verschleppte«, berichtete Bruder Cuthbert, während er das Pendel nachdenklich betrachtete. »Ich fürchtete, es wäre um mich geschehen, als ich feststellte, dass sie Griechisch verstanden, zumindest genug davon, um zu begreifen, dass ich keine feindlichen Absichten gegen sie hegte. Sie kündigten daraufhin an, mich zu ihrem Herrn zu bringen, und als wir jenen Bergsattel erreichten, zwangen sie mich, ein Pfand zurückzulassen, um den Göttern des Berges zu huldigen – fraglos ein Relikt aus der Zeit, da sie noch nicht zum wahren Glauben bekehrt waren. Da ich nichts anderes bei mir trug, ließ ich das Pendel auf dem Opfertisch zurück …«
    »… wo ich es später fand«, ergänzte Rowan, »zusammen mit …« Er unterbrach sich, wollte nicht aussprechen, dass er den bleichen Schädel für die sterblichen Überreste seines Meisters gehalten hatte.
    »Ich weiß«, sagte Cuthbert dennoch. »Sie benutzen diesen grausigen Mummenschanz, um unerwünschte Besucher fernzuhalten. Tatsächlich sind es die Gebeine ihrer eigenen Toten, die sie zur Schau stellen und die ihnen auf diese Weise einen letzten Dienst erweisen. Bei deinem schottischen Dickschädel scheint es allerdings nicht sehr viel geholfen zu haben.«
    »Nein«, gab Rowan zu, »denn das Pendel hat mir den Weg gewiesen.«
    »Das Pendel?« Cuthbert hob es fragend hoch. »Dieses hier?«
    »Ja, Meister. Als ich nicht mehr weiterwusste, hat es mir einen Ausweg gezeigt. Seither weiß ich, wie die Frage lautet.«
    »Ich verstehe.« Bruder Cuthbert schien einen Augenblick lang nachzudenken. Dann reichte er das Pendel mit mildem Lächeln an Rowan zurück. »Behalte es«, sagte er dazu. »Mir will scheinen, es gibt noch manches zwischen euch zu klären.«

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13
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    »Der Herr erlöst die Gefangenen,
der Herr öffnet den Blinden die Augen.«
    Psalm 146,7
    Sarazenisches Kriegslager
16. Juni 1187
    Sie waren abgezogen. Unter Anwendung grausamer Folter war es Mercadier gelungen, den gefangenen Spähern Informationen über eine in den Bergen verborgene Festung zu entlocken. Daraufhin war er mit dem größten Teil seiner Streitmacht abgezogen, um die Burg anzugreifen. Ob es sich tatsächlich um die Festung des Priesterkönigs handelte, spielte nur noch eine untergeordnete Rolle; der abtrünnige Templer wusste, dass er nicht mit leeren Händen zu Saladin zurückkehren durfte.
    Mit vollmundigen Versprechungen und schönen Worten hatte er es geschafft, die Gunst des Sultans zu gewinnen, doch gab es in Damaskus auch viele, die ihm, einem Christen, den Erfolg bei Hofe neideten. Nicht nur, dass die Expedition nach Osten Geld und Vorräte gekostet hatte, die anderswo dringend benötigt wurden; auch die zweitausend Mann, die abgestellt worden waren, um den Priesterkönig zu suchen und zu vernichten, fehlten in Saladins Hauptstreitmacht, wenn es gegen Jerusalem ging. Viele bei Hofe, unter ihnen Saladins Sohn Al-Afdal, hatten dagegen heftig protestiert.
    Mercadier hatte es verstanden, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen und Saladin zu überzeugen, dass ein Sieg über

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