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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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zischte, und er roch den Gestank von verbranntem Fleisch – seinem Fleisch. Ein Schrei gellte in seinen Ohren, und er brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass er selbst ihn ausgestoßen hatte. Er verstummte, hörte die raue Stimme Fürst Ungh-Khans, der seine Frage wiederholte, gefolgt von den Beteuerungen Bruder Cuthberts.
    Der Schmerz kehrte zurück, traf Rowan in den Rücken wie ein Pfeil. Wieder stieg ihm der Geruch von verbrannter Haut in die Nase. Übelkeit breitete sich in ihm aus, sein Atem ging stoßweise, und sein Herzschlag raste, die Sinne drohten ihm zu schwinden angesichts der Qual. Jäh wurde ihm bewusst, dass er sterben würde. Nichts, was er oder sein Meister zu sagen hatten, würde sie vor dem Zorn der Keraiten bewahren.
    Er schloss die Augen, wollte dem Beispiel Bruder Cuthberts folgen und innere Ruhe finden, dem Tod gelassen entgegensehen.
    Pater noster, begann er, qui es in caelis ……
    Es funktionierte nicht. Zu groß war der Schmerz, zu beherrschend die Furcht vor dem, was folgen würde.
    Sanctificetur nomen tuum.
    Er hörte Stimmen, Ungh-Khan und Bruder Cuthbert, der laut und eindringlich sprach – und ebenso vergeblich.
    Adveniat regnum tuum. …
    Plötzlich spürte Rowan unsägliche Hitze vor seinem Gesicht. Instinktiv riss er die Augen auf, nur um das Gluteisen zu sehen, das einer der Folterknechte auf sein linkes Auge zu bewegte.
    Cuthbert schrie, Rowan kniff die Augen zu, wissend, dass sich das glühende Eisen ohne Federlesens durch seine geschlossenen Lider fressen würde. Mit hechelndem Atem wartete er darauf, dass Schmerz und Wahnsinn ihn übermannen würden, während er merkte, wie etwas warm und flüssig an seinen Beinen herabrann …
    Doch das Gluteisen kam nicht.
    Stattdessen hörte Rowan, wie die Tür der Folterkammer geöffnet wurde und jemand die in den Fels gehauenen Stufen herabhastete.
    Vorsichtig blinzelnd schlug Rowan die Augen auf.
    Der Folterknecht stand noch immer vor ihm, das Eisen hatte er jedoch sinken lassen. Durch die halb geschlossenen Lider sah Rowan, wie sich Ungh-Khan mit einem Offizier unterhielt, der ziemlich aufgebracht schien. Wenn Rowan die fremdartigen Gesichtszüge richtig deutete, stand Erstaunen in Ungh-Khans Miene zu lesen; erneut wandte er sich Bruder Cuthbert zu und sagte einige Worte.
    »Was … was ist?«, presste Rowan verwirrt hervor. »Offenbar steht jemand draußen vor dem Burgtor«, erstattete Cuthbert Bericht. »Eine junge Frau mit rotem Haar und ein einäugiger Riese.«

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17
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    »Durch Güte und Treue wird Schuld gesühnt.«
    Sprüche 16,6
    Es war ein Wunder, nicht mehr und nicht weniger.
    Rowan hatte nicht damit gerechnet, Cassandra noch einmal wiederzusehen. Und dann, in dem Augenblick, in dem er bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte, war sie zurückgekehrt.
    Ungh-Khan hatte die Mönche losketten und sie hinaus in den Innenhof führen lassen, wo die beiden Besucher bereits warteten: der einäugige schwarze Ritter, der an jenem Tag so unvermittelt aufgetaucht war und sie aus der Gewalt der Templer befreit hatte, und sie …
    Zuletzt hatten sie sich in jener Nacht in den Bergen gesehen, als sie Hals über Kopf vor ihm geflohen war – nun standen sie sich erneut gegenüber, und mit beiden schien das Schicksal nicht sehr gnädig gewesen zu sein.
    Cassandra trug eine orientalisch anmutende Tunika, die jedoch zerschlissen war; ihre anmutigen Züge waren von Blessuren übersät, das Haar hing ihr in schmutzigen Strähnen in die Stirn. Rowans Oberkörper war noch immer nackt, die Wunden, die ihm die Eisen beigebracht hatten, brannten wie Feuer. Als sie ihn so erblickte, weiteten sich ihre dunklen Augen. Bekümmerung stand in ihrem Gesicht zu lesen und zeigte ihm, dass sie noch immer Zuneigung für ihn empfand.
    »Cassandra!«
    Er wollte sich von seinen Bewachern losreißen, wollte zu ihr, doch die Soldaten, die ihm die Hände auf den Rücken gebunden hatten, hielten ihn unnachgiebig fest. Vergeblich wehrte er sich gegen ihren Griff.
    »Was … was tust du hier?«, fragte sie mit erstickter Stimme. »Du solltest längst nicht mehr hier sein!«
    »Dasselbe könnte ich dich fragen«, konterte er, während er sich weiter im Griff seiner Häscher wand. Schmerz und die eigene Todesangst waren mit einem Mal vergessen. Und auch die Freude über das Wiedersehen verblasste wie mit einem Schlag. Sorge um Cassandra machte sich in ihm breit und schnürte ihm die Kehle zu. Sorge und Ratlosigkeit. Sie hatte von Verrat geredet – wie

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