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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verwunden hatte, überwog der Ärger über den Tadel des Meisters.
    Cuthbert strafte ihn mit einem strengen Blick. »Die gute Nachricht ist«, erklärte er daraufhin, »dass Farid auch einen karwan bashî gefunden hat, einen Karawanenführer, der bereit ist, uns mitzunehmen. Sein Zug wird in zehn Tagen aufbrechen.«
    »Erst in zehn Tagen?«, schnappte Rowan. »So lange können wir unmöglich warten!«
    »Unsere Tiere brauchen eine Rast ebenso wie wir selbst«, beschwichtigte Cuthbert. »Zudem macht der Vorzug, die Wüste im Schutz einer Gemeinschaft zu durchqueren, jeden Nachteil wett. Wenn wir von Wüstenräubern überfallen werden oder uns verirren und unsere Wasservorräte zur Neige gehen, werden wir ungleich mehr verlieren als nur ein paar Tage Zeit. Übe dich also in Geduld, Junge.«
    »Und das sagt Ihr, nachdem Ihr gerade berichtet habt, dass Saladin zum Krieg gegen Jerusalem rüstet? Habt Ihr vergessen, dass von unserer Mission das Überleben des Königreichs abhängen könnte?«
    »Ich habe es nicht vergessen«, versicherte Cuthbert gelassen, »doch würde ich dir raten, leiser zu sprechen, denn auch die Wüste hat Ohren, und Cassandra versteht dich ohnehin nicht. Und falls doch, würde sie dich sicher nicht für den Helden halten, als der du unbedingt gelten willst, sondern für einen ausgemachten Toren, dessen Tatendrang alle anderen in seiner Gesellschaft gefährdet.«
    Die Worte trafen wie Pfeile.
    Eben noch hatte sich Rowan voller Selbstvertrauen gewähnt, nun entwich ihm die Luft wie einem kaputten Blasebalg. Seine Schultern fielen herab, und er blickte zu Boden beschämt sowohl über seinen Ausbruch als auch darüber, dass sein Meister nur zu recht hatte. Was bildete er sich ein? Dass er das Königreich retten könnte? Oder dass er auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, wie dies zu bewerkstelligen sei? Er war nur ein Laienbruder, ein einfacher Diener, und daran würde sich auch hier draußen in der Wüste nichts ändern.
    Cuthbert deutete seine Körperhaltung richtig. »Ich weiß, Junge, dass du nur helfen willst«, versicherte er versöhnlich, »aber ob wir das Ziel unserer Reise erreichen oder nicht, liegt nur zu einem sehr geringen Teil in unserer Hand.«
    Rowans Blick glitt zu Cassandra, die sich der untergehenden Sonne zugewandt hatte. Ob sie ihr Ziel erreichten oder nicht, war in der Tat weder eine Frage der Zeit noch des nötigen Willens, sondern hing vor allem von den Visionen dieser jungen Frau ab, nicht mehr und nicht weniger.
    »Mein ganzes Leben lang«, fügte Cuthbert hinzu, »habe ich versucht, mit der Zeit, die der Allmächtige mir auf Erden gegeben hat, sparsam umzugehen und sie nicht zu verschwenden. Dennoch musste auch ich Geduld lernen, und dies hier hat mir dabei geholfen.« Er griff unter seinen Kaftan und beförderte einen kleinen Gegenstand aus Metall zutage, der an einer dünnen Lederschnur hing und im orangefarbenen Licht glänzte.
    »Was habt Ihr da?«
    »Ein Pendel«, entgegnete der alte Mönch, während das Metallstück, das Rowan entfernt an eine Birne erinnerte (allerdings an eine, die verkehrt herum am Baum hing), bereits hin und her zu schwingen begann. »Derjenige, der es mir einst schenkte, behauptete, dass es die Antwort wüsste – und ich habe nahezu mein ganzes Leben lang damit verbracht, nach der Frage zu suchen.«
    »Und?«, fragte Rowan, der wieder einmal nicht wusste, worauf sein Meister hinauswollte. Wie, bei allen Heiligen, sollte ein Tand wie dieser irgendwelche Fragen beantworten?
    »Es hat lange gedauert, bis ich auf die Lösung des Rätsels gekommen bin«, fuhr Cuthbert fort, »aber ich werde sie dir nicht verraten.«
    »Nein?« Rowan schaute von dem Pendel auf.
    »Nein. Denn fortan«, entgegnete sein Meister, während er das Messingstück auffing und die Schnur darumwickelte, »wird es deine Aufgabe sein, die Frage zu suchen.«
    »W-was für eine Frage?«
    »Zu der Antwort, die dir das Pendel gibt«, entgegnete Cuthbert augenzwinkernd. »Wann immer du in Zukunft das Gefühl hast, unnütz warten zu müssen und Gottes Zeit zu verschwenden, befrage das Pendel. Es wird dir helfen, die Geduld zu bewahren.«
    »Kann … kann ich es haben?«, fragte Rowan und wollte nach dem Pendel greifen. Doch Cuthbert ließ es bereits wieder unter seinem Gewand verschwinden.
    »Ein anderes Mal«, erwiderte der alte Mönch und wandte sich zum Gehen. »Hier draußen wird es rasch dunkel, und des Nachts schleicht übles Gesindel in den Gassen herum.«
    »Verstanden, Meister.«

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