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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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hob. Er hakte nach, und sie antwortete noch ausführlicher.
    »Was sagt sie?«
    »Dass sie vergangene Nacht erneut einen Traum hatte«, erwiderte Cuthbert leise. »Sie hat einen See mit zwei Monden gesehen und ein Bild im Fels.«
    »Ein See mit zwei Monden? Was bedeutet das, Meister?«
    »Ich weiß es nicht, Junge. Außerdem sagt sie, dass sie steinerne Türme und Feuer am Himmel gesehen hat. Mauern, die in Trümmer fielen.«
    »Und?«
    Cuthbert schluckte sichtbar.
    »Ich weiß es nicht, Junge«, sagte er dann – und zum ersten Mal hatte Rowan den Eindruck, dass sein Meister ihm nicht die Wahrheit sagte.

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29
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    »Nur wie ein Schatten geht der Mensch umher,
macht Lärm um ein Nichts, häuft zusammen
und weiß nicht, wer einsammeln wird.«
    Psalm 39,7
    Lothringen
1. Dezember 1173
    Etwas hatte sich verändert.
    Seit dem Überfall in der Schlucht sprach keiner ihrer Häscher mehr ein Wort mit ihr. Dass Mercadier und Gaumardas sich so verhielten, verwunderte das Mädchen nicht weiter. Aber auch Kathan hatte seit dem gestrigen Zwischenfall kaum ein Wort verloren, und wann immer sich ihre Blicke trafen, schaute er in eine andere Richtung.
    Habe ich etwas falsch gemacht? Hätte ich sie nicht vor dem bevorstehenden Überfall warnen sollen?
    Sie war verwirrt und wusste nicht, was sie tun sollte. Schweigend saß sie hinter Kathan auf dem Pferd, ließ die Kälte und den eisigen Wind über sich ergehen. Und wenn sie, so wie jetzt, eine Rast einlegten und ein Feuer entfachten, um sich ein wenig aufzuwärmen, saß sie zusammengekauert im Schutz eines großen Baumes oder Felsens. Der Gedanke an Flucht schoss ihr hin und wieder durch den Kopf, aber sie verwarf ihn sofort wieder. Zwar trug sie während des Ritts keine Fesseln, dennoch wäre sie nicht weit gekommen, durchfroren und geschwächt, wie sie war. Außerdem war ihr der letzte missglückte Fluchtversuch noch schrecklich in Erinnerung.
    Ihr blieb also nur, weiter auszuharren – und sich vor dem zu fürchten, was sie am Ziel ihrer Reise erwarten würde.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, holte sie das kleine Holzpferd unter ihrem Umhang hervor, das Kathan ihr geschnitzt hatte. Der Ritter, der einige Schritte von ihr entfernt stand und sie bewachte, schaute weg, als wollte er nicht daran erinnert werden, dass er ihr das Spielzeug geschenkt hatte. Er wandte sich Gaumardas zu, der auf der anderen Seite des Feuers auf einem abgestorbenen Baumstamm hockte und mit einem Ast in der Glut stocherte.
    Sie ließ das kleine Pferd über die Knie und den Arm hinaufgaloppieren, aber das Spiel machte ihr keine rechte Freude, zu quälend war die Ungewissheit.
    Mercadier war ein Stück vorausgeritten, um die Umgebung zu erkunden und einen Platz für ein Nachtlager zu suchen. Vermutlich würden sie sich wieder bei einem Bauern einquartieren, sich von seinen Vorräten bedienen und die Nacht im Schutz seines Hauses verbringen – und der Bauer würde nicht widersprechen. Das Mädchen hatte die Furcht in den Augen der Menschen gesehen, wann immer Mercadier mit ihnen sprach. Sie fühlten wohl, dass es besser war, sich dem Willen der drei Tempelherren zu fügen, denen das Grauen wie ein Schatten zu folgen schien.
    Gleich einer Meute hungriger Wölfe.
    Immer wieder fühlte sie sich an den Traum erinnert, der sie so oft verfolgt und sich in mancher Hinsicht als wahr erwiesen hatte. Auch in den vergangenen Nächten hatte sie geträumt, doch auf die Dinge, die sie sah, wusste sie sich wieder einmal keinen Reim zu machen.
    Pfeile, die durch die Luft flogen.
    Ein Mann in schwarzer Kleidung.
    Ein junger Mönch – Pater Edwin?
    Sie wusste es nicht. Die Erkenntnis, dass das, was sie im Traum gesehen hatte, die Zukunft war, pflegte ihr stets erst dann zu kommen, wenn die betreffende Situation eingetreten war. Dann, wenn es fast zu spät war, wie beim Überfall in der Schlucht.
    Ist Ritter Kathan deshalb zornig auf mich?
    Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie brauchte Gewissheit, musste wissen, warum der einzige Mensch, der ihr in den vergangenen Tagen Trost gespendet hatte, sich plötzlich von ihr abgewandt hatte.
    »Kathan?«, fragte sie leise.
    »Hm?« Unwillig drehte er sich zu ihr um.
    »Es … ist nicht mehr weit, oder?«
    »Nein.«
    Sie schürzte die Lippen und nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wa… warum sprichst du nicht mehr mit mir? Habe ich etwas falsch gemacht?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf.
    »Warum dann?« Sie schaute zu ihm hinauf, das Holzpferd in den vor Kälte blauen

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