Das verschollene Reich
während der vierte dabei war, ihr die Tunika vom Leib zu reißen. Dass es ihm noch nicht gelungen war, lag daran, dass sie sich erbittert wehrte und mit aller Kraft aufbäumte, die Zähne zusammengebissen, das rote Haar eine wilde Mähne, ihre Blicke die eines in die Enge getriebenen Tieres.
Die Kerle jedoch lachten nur.
Rowan fühlte, wie ihm der Zorn in die Adern schoss.
»Ihr da!«
Ohne darüber nachzudenken, wie seine Chancen gegen die Übermacht standen, hob er kurzerhand den Stock, den er bei sich hatte, und ging damit auf die Kerle los.
Den Ersten von ihnen – denjenigen, der seinem Opfer die Kleider vom Leib hatte reißen wollen – erwischte Rowan, noch ehe dieser überhaupt begriff, was geschah. Mit Wucht ging der Stock nieder, traf den Mann an der Schläfe und ließ ihn bewusstlos niedersinken. Das Gelächter der anderen brach ab und ging in Geschrei über, das im einen Moment noch entsetzt, im nächsten nur noch wütend klang. Die drei verbliebenen Kerle sprengten auseinander wie aufgescheuchtes Federvieh, einer lief Rowan geradewegs entgegen. Mit einem gezielten Stockhieb in die Eingeweide hieß der junge Mönch ihn willkommen. Der Kameltreiber, der nicht viel älter war als er selbst, kippte nach vorn, worauf Rowan ihn kurzerhand packte und gegen die Wand des nächstbesten Lagerhauses stieß, an der er benommen herabsank.
Die beiden Übrigen hatten unterdessen Zeit gehabt, ihre Überraschung zu überwinden und die gekrümmten Dolche zu zücken, die in ihren Schärpen steckten. Die Art, wie sie sie in den Händen hielten und führten, ließ vermuten, dass sie einige Übung darin hatten. Sie griffen gleichzeitig an. Indem Rowan den Stock beidhändig an einem Ende griff und bald nach der einen, bald nach der anderen Seite drosch, gelang es ihm, die beiden auf Distanz zu halten, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann eine der Klingen die Deckung durchdringen und ihr Ziel finden würde.
Rowans Blicke flogen zwischen seinen beiden Gegnern hin und her, in deren sonnengebräunte Züge das alte Grinsen zurückgekehrt war. Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Hände waren feucht, während sie das Holz des Stocks krampfhaft umklammerten.
Plötzlich warf sich einer der beiden Gegner nach vorn, trug mit heiserem Kampfschrei einen Ausfall vor. Rowan reagierte und riss den Stock empor, traf die Messerhand des Angreifers mit voller Wucht. Der Dolch flog davon, der Verletzte starrte auf seine zerschmetterte Hand und ging jammernd in die Knie – während sein verbliebener Kumpan seinerseits zum Angriff ansetzte. Schon schwirrte die Klinge heran, in einer Aufwärtsbewegung geführt, die dazu angetan war, Rowan von der Hüfte aufwärts aufzuschlitzen. Blitzschnell sprang dieser zurück und trug einen wuchtigen Stockhieb vor, dem sein Gegner jedoch mühelos auswich. In rascher Folge versuchte er, weitere Stiche anzubringen, die Rowan allesamt parierte – bis der andere eine Finte vortrug.
Im einen Moment hatte es noch den Anschein, als wollte der Orientale abermals einen Stoß gegen Rowans Leibesmitte führen – im nächsten Augenblick jedoch änderte er unvermittelt die Stoßrichtung, und die Klinge zuckte auf Rowans Kehle zu!
Mit Mühe gelang es Rowan gerade noch, den Stock emporzureißen und den Stahl abzufangen, nur wenige Fingerbreit vor seiner Kehle. So standen sie einander gegenüber und rangen miteinander, während der Araber weiter versuchte, die Klinge in Rowans Hals zu treiben. Da seine Körperkräfte denen des Mönchs überlegen waren, rückte die tödliche Schneide näher und näher. Mit aller Kraft stemmte sich Rowan dagegen, aber es gelang ihm nicht, den Gegner zurückzustoßen. Immer weiter kam der kalte Stahl heran, er fühlte ihn schon an seinem Hals, sah, wie sich die Augen seines Gegners triumphierend weiteten …
… und plötzlich wie eine verlöschende Kerze flackerten.
Unvermittelt ließ der Druck hinter der Klinge nach, und der Mann brach leblos zusammen. Cassandra stand hinter ihm, in der Hand einen Stein, den sie vom Boden aufgelesen und mit dem sie kurzerhand zugeschlagen hatte. Der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben, ihre dunklen Augen jedoch verrieten eiserne Entschlossenheit.
Rowan rang nach Atem. Er wollte sich bei seiner Retterin bedanken, aber in der Kampfeswut, die ihn erfasst hatte, war er unfähig zu sprechen. Er nickte ihr zu und wollte ein Lächeln versuchen, als sich ihre Augen erschrocken weiteten und ein heiserer Schrei aus ihrer Kehle drang –
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