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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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Daraufhin war Ole Kristians Mutter doppelt so sauer gewesen und hatte gesagt, wenn Ole Kristians Vater die Terrasse vor der Schlafzimmertür bauen würde (wie er es vor einer Ewigkeit versprochen hatte), würde sie diese mit Kisten und Krügen, mit Kletterrosen, Kissen und Decken schmücken. Es sollte ihre kleine italienische Veranda werden, hatte sie gesagt. Die Blechkanne war Teil ihres Plans und sollte, wenn die Terrasse fertig war, mit Wiesenblumen gefüllt werden. Aber die Terrasse wurde nicht fertig, nicht in diesem Jahr und auch nicht im Jahr darauf, und jetzt stand die Kanne ganz hinten im Schuppen, halb vergessen hinter einem kaputten Rasenmäher. Die Kanne könnte ihnen als Schatzkiste dienen, sagte Ole Kristian.
    (Der Sinn eines vergrabenen Schatzes bestand darin, dass man ihn nie wieder ausgrub. Nie. Man wusste, dass es ihn gab. Man wusste, wo er sich befand. Man wusste, wie wertvoll er war und wie viel man geopfert hatte, als man beschlossen hatte, ihn zu vergraben und nie mehr anzuschauen. Und man konnte keinem je davon erzählen.)
    Aber Ole Kristian musste etwas finden, was er in die Blechkanne hineinlegen wollte, meinte Simen – und dem stimmte Gunnar zu. Hatte Ole Kristian nicht gerade zweihundertfünfzig Kronen von seiner Großmutter bekommen? Davon sollte er wenigstens zweihundert opfern. Das Geld (wenn es Scheine waren), konnte man in eine Plastiktüte packen, darin würde es sich nicht auflösen. Ole Kristian wollte das Geld nicht hergeben, auch wenn der Schatz seine Idee gewesen war und er es war, der gesagt hatte, alle müssten etwas beisteuern, was einen gewissen Wert hatte, man müsse gewissermaßen etwas opfern . Aber Simen und Gunnar waren beide der Meinung, es reiche nicht aus, die Blechkanne zu seinem Beitrag zu erklären. Das sei kein Opfer! Die Blechkanne sei nicht Bestandteil des Schatzes, die Blechkanne sei lediglich die Hülle für den eigentlichen Schatz. Nur, dass sie keine Kiste war, sondern eine Kanne. Wenn man der Wahrheit ins Auge sah (und das hier war sozusagen die Stunde der Wahrheit, wie Gunnar bemerkte), hatte Ole Kristian nichts anderes von Wert als das Geld seiner Großmutter.
    Es sollte wehtun.
    Was Gunnars Beitrag anbetraf, gab es keinen Zweifel. Hier waren sich Simen und Ole Kristian völlig einig. Gunnar musste das Autogrammheft vom FC Liverpool opfern.
    Vor wenigen Monaten war Gunnar mit seinem großen Bruder, der zweiundzwanzig war, in Liverpool gewesen. Sie hatten ein ganzes Wochenende dort verbracht, im Hotel gewohnt und sich ein Fußballspiel der Premier League zwischen Liverpool und Tottenham angeschaut. (Gunnars großer Bruder war kein richtiger großer Bruder, auch wenn Gunnar ständig »mein großer Bruder hier, mein großer Bruder da« sagte, er war ein großer Halbbruder, der Sohn von Gunnars Vater, und Gunnar sah ihn eigentlich nicht sehr oft.) In dem Autogrammheft hatten unter anderem Steven Gerrard und Fernando Torres, Xabi Alonso und Jamie Carragher Autogramme gegeben, und ganz hinten im Heft klebte ein Foto von Gunnar zusammen mit seinem großen Bruder vor dem Anfield Stadion, beide mit Liverpool-Schal um den Hals. Neben dem großen Bruder mit seinen eins neunzig, mit den langen, braunen Haaren und den breiten Schultern sah Gunnar wie eine Schnake aus, und unter dem Bild stand mit blauem Kugelschreiber: Für den coolsten kleinen Bruder der Welt von Morten .
    Simen wusste, dass Gunnar das Autogrammheft lieber nicht in die Kanne legen wollte. Die zweihundert Kronen von Ole Kristians Großmutter waren eine Sache. Etwas völlig anderes war Gunnars Autogrammheft vom FC Liverpool, das tat richtig weh. Es kam recht häufig vor, dass Ole Kristian Geld von seiner Großmutter erhielt, aber es kam nicht sehr oft vor, dass Gunnars großer Bruder (auch wenn er kein richtiger großer Bruder war) mit Gunnar nach Liverpool fuhr, und es kam schon gar nicht oft vor, dass man von Steven Gerrard, Fernando Torres, Xabi Alonso und Jamie Carragher Autogramme bekam. Und Gunnar, der von den dreien am schmächtigsten war, fing fast an zu heulen, als er versprach, sich von seinem Autogrammheft zu trennen.
    Nachdem dies geklärt war, flüsterte Simen: »Ich weiß, was ich in die Kanne legen werde.«
    Er war der Einzige, der noch übrig war. Draußen vor der Geheimhütte waren jetzt Wolken aufgezogen, und Simen wollte Gunnar und Ole Kristian zeigen, dass auch er bereit war, ein Opfer zu bringen.
    Simens Mutter besaß eine Kette mit einem Anhänger, einem kleinen Kreuz aus

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