Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
lachte kurz. Entschuldigung, sagte sie und küsste ihn. Ich weiß, dass es verboten ist zu lachen. Oder au zu sagen. Wir machen kehrt, sagte Jon, ich muss den Knöchel untersuchen, daraufhin machten sie kehrt und gingen wieder nach oben. Jon stützte sie bis in den zweiten Stock (in Unkenntnis der genauen Stufenzahl), wo sich ihr Zimmer befand, er legte sie aufs Bett, zog sie aus, stapelte Kissen unter ihrem Bein, wickelte Eiswürfel in ein Handtuch und das Handtuch um ihren Knöchel. Siri lachte und sagte, so weh tue es auch wieder nicht, und Jon pustete auf den Knöchel und pustete auf das Knie, als wäre sie ein kleines Mädchen, das sich wehgetan hatte, und er drückte den Mund auf die Innenseite ihrer Schenkel und ließ die Zunge ihren Weg finden.
Aber nein. Siri hielt die Luft an. Sie legte das Gesicht in die Hände und atmete durch sie ein. Wollte nicht an Jon denken. Nicht jetzt. Alles, was sie zueinander gesagt hatten. Der Brief, den sie vor langer Zeit gefunden hatte. Sie konnte ihn nicht darauf ansprechen. Nicht hier. Nicht jetzt. Wo war er eigentlich? War er immer noch im Garten, ging von Gast zu Gast, ja, ich bin in den letzten Zügen, das Buch kommt im Herbst heraus, eigentlich sollte es schon letztes Jahr erscheinen, aber jetzt kommt es doch im Herbst, hoffe ich, wenn ich es schaffe , sie hatte gesehen, wie er sich eifrig mit Ola unterhalten hatte, der mit dem Alter immer grauer wurde, er hatte mit Steve Knightley aus Seattle gesprochen, sie hatte ihn mit Onkel Oskar und Tante Astrid gesehen, mit Karoline Sørheim und Kurt Mandl, und ihr war aufgegangen, dass sie Karoline nie gemocht hatte, Jons eitle, humorlose Sandkastenfreundin. Konnten Karoline und Kurt sich nicht anderswo ein Ferienhaus zulegen? Mussten sie hierherkommen? Sie sah Karolines Gesicht vor sich, nein, sie mochte sie wirklich nicht, so viel Unsicherheit und Eitelkeit in so etwas Kleinem, Blondem, Schmächtigem. Jon mochte sie auch nicht. Sie hat einfach keinen Charme, sagte er, und darin gab Siri ihm recht, und hin und wieder lachten sie darüber, wie wenig Charme Karoline hatte, aber Kurt war ein guter Mann, das fanden sie beide, nett, witzig, warmherzig, ein bisschen streberhaft vielleicht, sagte Jon, woraufhin Siri sagte, es sei keineswegs streberhaft, jeden Tag zur Arbeit zu gehen, seine Brötchen zu verdienen, ein engagierter Vater zu sein und außerdem viel Sport zu treiben und sich fit zu halten, und das wertete Jon als persönlichen Vorwurf, und das war es vielleicht auch.
Siri saß auf dem Fußboden in der Diele und versuchte, allen Mut zusammenzunehmen, die Treppe hinaufzugehen und ihre Mutter zu holen, und sie dachte, es könnte nicht schaden, wenn Jon etwas mehr Verantwortung übernähme, er hatte seit Jahren finanziell nichts mehr beigesteuert, sein Buch wurde und wurde nicht fertig, und sie konnten nicht einzig und allein von den Einnahmen des Osloer Restaurants leben. Doch da Jon nichts anderes konnte oder wollte, als an seinem Buch zu schreiben, hatten sie einen viel zu hohen Kredit aufgenommen, um das Darlehen zu bedienen, das sie bereits hatten … Siri hielt die Luft an, daran wollte sie jetzt nicht denken, daran wollte sie nicht denken, denn was hatte sie aus ihrem Leben gemacht, und außerdem waren (die uncharmante) Karoline und (der streberhafte) Kurt ihre Freunde, ihrer beider Freunde, sie waren gern zu viert zusammen.
Aber etwas stimmte nicht. Siri holte tief Luft.
Vor drei Jahren, im Mai 2005, waren Siri und Jon auf Gotland gewesen und hatten Sofia besucht, die das Haus in Slite verkaufen wollte, um in eine Zweizimmerwohnung in Visby zu ziehen. Teile aus dem Verkauf gehörten zu Siris Erbe, und es mussten Papiere unterschrieben werden. Siri und Jon (und Leopold) wollten zusammen fünf kinderfreie Tage auf Gotland verbringen. Liv und Alma blieben in Oslo. Die Kinder wohnten bei Emma, der Nachbarin, die selbst zwei Kinder hatte.
Siri badete allein am Strand wie schon vor vielen Jahren, als ihr Vater tot im Bett gelegen hatte mit einem Tuch um den Kopf, sie legte eine Blume auf das Grab des Vaters, erntete kajp , eine Art wilden Porree, der nur auf Gotland wächst, und kochte eine Suppe für Jon, Sofia und sich selbst, und eines Abends, als Jon und sie mit dem Auto unterwegs waren, hielt Jon an und sagte: »Wie wäre es, wenn wir hier auf Gotland ein Haus kaufen würden, ein kleines Kalksteinhaus, in dem du und ich und Alma und Liv wohnen könnten?«
Sie unternahmen täglich lange Ausflüge mit dem Wagen und
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