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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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hatten sich wieder versöhnt und planten eine Zukunft als kleine Familie im Ausland.«
    Stephan schüttelte den Kopf. »Warum sagt er uns dann nicht, dass es bei der Schröder ist? Warum kommt er dann nicht mit dem Kind im Arm zu uns und sagt: Seht her, hier ist mein Kind, alles in Ordnung? Warum verbirgt er es vor uns, obwohl er weiß, dass wir es suchen?«
    Ernestine zuckte mit den Schultern. Heck erhob sich und rieb sich den Rücken, stöhnte und sah auf die Uhr: »High Noon, Kinder! Lars hat durchaus recht mit seinen Bedenken. Aber wir können das auch am Montag noch klären. Schluss für heute.«
    In dem Moment meldete sich Hecks Handy. Er hielt es ans Ohr und lauschte. Seine Miene verdüsterte sich zusehends.
    »Wann war das?«, fragte er. »Und warum erfahren wir das erst jetzt? Wo? Gut, wir kümmern uns darum.«
    Er legte das Handy beiseite und schaute in die erwartungsvollen Gesichter von Ernestine und Lars.
    »Ihr werdet es kaum glauben. Unser Kind ist schon wieder weg. Heute Morgen war die Pflegefamilie mit ihm auf dem Wochenmarkt am Wilhelmsplatz einkaufen. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, genau zu sagen, wann oder wo das Kind verschwand. Sie hatten den Kinderwagen an verschiedenen Ständen abgestellt und eingekauft. Das Kind war wegen des schlechten Wetters dick eingepackt. Irgendwann haben sie plötzlich bemerkt, dass sie die ganze Zeit einen leeren Kinderwagen herumgeschoben haben. Inzwischen suchen Streifenbeamte den ganzen Bereich ab und befragen die Leute. Bisher ohne Erfolg.
    Wenig später stand Stephan auf dem Wilhelmsplatz mitten im chaotischen Treiben eines Marktes. Verführerische Düfte nach Geräuchertem und exotischen Gewürzen erinnerten ihn daran, dass sein dürftiges Frühstück bereits einige Stunden zurücklag. Daher gönnte er sich eine Bratwurst und ein Brötchen und schlenderte in einen etwas ruhigeren Randbereich. Von hier aus ließ er das Geschehen auf sich wirken. Wieder einmal war er völlig erstaunt, eine neue, unerwartete Seite von Offenbach kennenzulernen. Der riesige Marktplatz war umsäumt von herrlichen, teilweise frisch renovierten Gründerzeithäusern, in denen sich Lokale, Feinkostgeschäfte und viele andere Läden befanden. Über den Platz verteilten sich Verkaufsstände unterschiedlichster Art. Es gab unzählige Käsesorten, frischen Fisch, Fleisch, Wurst, Obst und Gemüse, Gewürze, Kräuter – Bio oder konventionell. Hier schien kein kulinarischer Wunsch offenzubleiben. Das würde er demnächst einmal Maren zeigen. Was für ein Vergnügen musste es sein, mit ihr zwischen den Ständen zu flanieren und sich für ein gemeinsames Kochen am Abend ausgewählte Zutaten zusammenzustellen? Dazu noch einen guten Tropfen aus der Weinhandlung da drüben. Er hatte sich schon erkundigt. An drei Vormittagen in der Woche – Dienstag, Freitag und Samstag – war der Markt geöffnet.
    »Was? Du kennst den Markt am Wilhelmsplatz nicht?«, hatte sich Heck entrüstet. Genauso hätte er fragen können: »Was? Du kennst das Alphabet nicht?«
    Inzwischen war Heck gemeinsam mit Ernestine irgendwo dort im Gewimmel in den engen Gassen verschwunden. Die Pflegefamilie und die Frau vom Jugendamt hatten sie am Markthaus auf dem Platz erwartet.
    »Ja, wenn wir gewusst hätten, dass eine Gefahr für das Kind besteht, hätten wir die Familie ganz anders instruiert«, hatte die Frau vom Jugendamt leicht vorwurfsvoll gesagt. Die Pflegemutter war völlig außer sich. Wild gestikulierend erklärte sie, sie habe nur hier … und dort an dem Stand dann … und da etwas gegessen oder vielleicht auch dort drüben?
    Schnell hatte Stephan festgestellt, dass mit ihren Schilderungen nichts anzufangen war. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete die Menschen in dicken Jacken und Mänteln, mit Kinderwagen, Einkaufskörben, Taschen, Babys im Känguru-Sack vor Papas oder Mamas Bauch. Es gab kaum einen besseren Ort, um ein kleines Kind unauffällig verschwinden zu lassen, und es gab kaum einen schlechteren Ort, um auf die Frage: Haben Sie hier eine Person mit einem Baby gesehen?, eine brauchbare Antwort zu erhalten. Nachdem er gesättigt war, umrundete Stephan den Platz, um festzustellen, ob es Kameras gab und welche Bereiche damit überwacht wurden. Das Ergebnis war ernüchternd. Selbst wenn die Geräte, die er entdeckt hatte, funktionierten und gute Bilder lieferten, so würden sie doch kaum in das Gedränge zwischen den Buden und Ständen hineinreichen. Einen hohen Mast, von dem aus eine Kamera

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